News aus dem Thurgau

Auf den Spuren von Wiborada

von Inka Grabowsky
min
03.05.2024
Vor über 1100 Jahren hatte sich die heilige Wiborada in St. Gallen in eine Zelle einschliessen lassen. So konnte sie sich ganz dem Gebet widmen. Cathrin Legler wird diese Lebensweise eine Woche lang nachempfinden.

«Kannst du allein sein?», «Hast du eine persönliche Gebetspraxis?», «Bist du bereit für die Menschen, die kommen, zu beten?» «Bist du psychisch stabil?» «Was ist deine Motivation?» Auf diese und ähnliche Fragen hat Cathrin Legler aus Kreuzlingen offenkundig die passenden Antworten gegeben.

Die Pfarrerin ist eine von fünf Teilnehmenden des Wiborada-Projekts in diesem Jahr. Ein ökumenisches Team will noch bis 2026, wenn sich der Todestag der St. Gallerin Wiborada zum 1100. Mal jährt, an die vergleichsweise unbekannte Heilige erinnern. Zu dem Zweck ist am Standort der frühmittelalterlichen Zelle an der Kirche St. Mangen ein moderner Nachbau entstanden.

Klein aber fein - das Zimmer ist zwar eng, aber doch gemütlich eingerichtet. (Bild:  wiborada.sg / ig)

Klein aber fein - das Zimmer ist zwar eng, aber doch gemütlich eingerichtet. (Bild: wiborada.sg / ig)

«Will mich dem aussetzen»

Vom 10. bis 17. Mai wird Cathrin Legler die zwölf Quadratmeter bewohnen. Sie bleibt eine Woche, Wiborada hatte sich zehn Jahre — von 916 bis zur ihrem gewaltsamen Tod 926 — einschliessen lassen. «Mich fasziniert Wiborada als spannende Persönlichkeit des 10. Jahrhunderts», erklärt Legler. «Ihre Rolle als Heilige der katholischen Kirche ist für mich nicht relevant, auch wenn ich noch nie Berührungsängste mit anderen Konfessionen hatte.»

Legler ist in St. Gallen zur Schule gegangen, dementsprechend war ihr Wiborada schon lange ein Begriff. «Ich habe mich als junges Mädchen gefragt, wie man dazu kommt, sich einschliessen zu lassen. Ich will mich dem aussetzen. Mal sehen, was passiert, wenn man eine Woche in einem engen Raum ist.»

Den Menschen zugewandt

Die neu errichtete Zelle ist hell. Oberlichter lassen Sonnenschein hinein, auch dann, wenn die Fenster zur Kirche (damit man am Gebet teilnehmen kann) und zur Strasse (damit man mittags und abends für je eine Stunde mit Besuchern sprechen kann) geschlossen sind. Diese nur im übertragenen Sinn «niederschwelligen» Begegnungen sind der Pfarrerin besonders wichtig. «Ich stehe für Fürbitten zur Verfügung und bringe die Anliegen der Menschen vor Gott.»

Zusätzlich zu diesem Dienst sind die Eingeschlossenen gehalten, zur Selbstreflexion Tagebuch zu führen. Es wird später in die Stiftsbibliothek aufgenommen. «Ich vermute, ich werde zwei Varianten erstellen – eines für die Öffentlichkeit und eines für mich mit privaten Gedanken.» Ausserdem sollen sie sich mit Handarbeiten beschäftigen. Cathrin Legler hat sich das Stricken von komplizierten isländischen Mustern vorgenommen. «Und meine Bibel nehme ich mit. Langweilig wird mir sicherlich nicht.»

Erkenntnis durch Verzicht

Viele Thurgauer und Thurgauerinnen kennen Cathrin Legler durch ihre Aufgaben in der Landeskirche. Sie verantwortet etwa den Laiensonntag im November und bietet im Tecum immer wieder Kurse zum Meditieren an. Darauf vorbereitet ist sie unter anderem durch ein Masterstudium in «Ignatianischen Exerzitien und Geistlicher Begleitung».

«Mich fasziniert die Reduktion – auch beim Fasten. Das gilt für die Spiritualität genauso. Da neige ich eher zu stillen Varianten als zum lauten Lobpreis. Meine Familie weiss schon, dass ich immer mal wieder etwas Ungewöhnliches ausprobiere, drei Wochen Schweigen zum Beispiel.» Der Verzicht auf das Sprechen, auf Nahrungsmittel oder auf menschliche Gesellschaft dienen der Theologin nicht zur Selbstkasteiung, sondern zum Erkenntnisgewinn. «Bei dreissigtägigen Exerzitien habe ich das Gefühl von Einheit und die Gewissheit, dass da etwas ist, bereits erlebt. Aber erwarten kann man das nicht und erzwingen schon gar nicht.»

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