Migrationskirchen boomen – was bedeutet das für die Reformierten?
In der Schweiz gibt es 635 christliche Migrationsgemeinden. Dies geht aus einer Studie des Schweizerischen Pastoralsoziologischen Instituts (SPI) hervor. Die Gemeinden zählen gemäss dem SPI heute insgesamt 616'255 Mitglieder – eine beeindruckende Zahl. Wie der «Sonntagsblick» in seiner Ausgabe vom 16. April schreibt, erhofft sich der Schweizerische Evangelische Kirchenbund (SEK) aus der stetig wachsenden Zahl an Migrationskirchen «Impulse» für die reformierten Landeskirchen. Auf Anfrage präzisiert SEK-Ratsmitglied Sabine Brändlin: «Die Begeisterung und Glaubensstärke der immigrierten Glaubensgeschwister kann uns Motivation sein auf unserem weiteren Weg als Kirche».
Migrationskirchen sollen Anschluss beim Kirchenbund finden
Konkret möchte der SEK, dass Migrationskirchen Teil des Kirchenbundes werden können. Der Rat des Kirchenbundes will deshalb im November 2017 der Abgeordnetenversammlung eine nach der Vernehmlassung überarbeitete Version der neuen Verfassung vorlegen. Darin soll aufgeführt sein, was es heisst, ein «assoziiertes Mitglied» des Kirchenbundes zu sein. Sprich: Was Bedingungen und Kriterien für eine Mitgliedschaft sind. Der SEK sei sich aber auch bewusst, dass die Kontakte zu den Migrationskirchen anspruchsvoll sein können, sagt Brändlin: «Viele der neu entstehenden Migrationsgemeinden entstammen Ländern, die uns kulturell fremd sind und mit denen uns auch historisch wenig verbindet». Zudem würden oftmals auch theologische Vorbehalte bestehen – «und dies sowohl bei uns Reformierten wie auch auf der Seite der Migrationsgemeinden», sagt Brändlin.
Knappe Ressourcen hemmen Zusammenarbeit
Als Leiterin des Zentrums für Migrationskirchen in Zürich verfügt Pfarrerin Dinah Hess über eine grosse Erfahrung, was die Zusammenarbeit mit Migrationskirchen betrifft. Eine Schwierigkeit sei beispielsweise, dass wenig oder kein Wissen über die ökumenische Zusammenarbeit unter den Kirchen in der Schweiz vorhanden sei. Weiter würden auch die geringen Ressourcen der Migrationskirchen eine Zusammenarbeit hemmen. Hess sagt, dass das Geld in den meisten evangelischen Migrationskirchen äusserst knapp sei. Dies hat zur Folge, dass die meisten Kirchen zu fast 100 Prozent von Freiwilligen geführt werden. «Viele schaffen es gerade einmal, das eigene Programm abzudecken. Da bleibt kaum Zeit für eine Zusammenarbeit», sagt Hess. Diese sei aber nötig: Denn nur mit gegenseitigen Besuchen, verbunden mit Gebeten, Essen und Gesprächen würden gemeinschaftsstiftende Elemente überhaupt erst möglich.
«Heisse Eisen» wie Gleichstellung der Frau thematisieren
Von Bedeutung bei der Zusammenarbeit sei aber auch, dass im Rahmen der theologischen Weiterbildung für Mitarbeitende aus Migrationskirchen ethische Fragen thematisiert werden. «Man muss die Leute für gesetzliche Grundlagen wie zum Beispiel das Diskriminierungsverbot oder die Religionsfreiheit — und was dies genau beinhaltet – sensibilisieren», sagt Hess. Sie sagt aber auch: «Bei den Migrationskirchen sind die Positionen zu Themen wie Homosexualität oder Gleichstellung der Frau genauso unterschiedlich wie bei den Schweizer evangelisch-reformierten Kirchen.»
Berner Zusammenarbeit mit ägyptischer Migrationskirche
Auch die Reformierten Kirchen Bern-Jura-Solothurn arbeiten mit Migrationskirchen zusammen. So besteht eine Dreier-Partnerschaft mit der evangelisch-reformierten ägyptischen Migrationskirche in Bern und mit dem Synod of the Nile, der Ursprungskirche des Pastors dieser Kirche in Ägypten. Im Rahmen dieser Partnerschaft war bereits zweimal eine ägyptische Frauendelegation zu Besuch in der Schweiz – und umgekehrt waren Schweizer Mitglieder ebenfalls schon zweimal in Ägypten, um bei Veranstaltungen aufzutreten. Bei diesen Treffen und dem schriftlichen Austausch war auch die Ordination von Frauen in der ägyptischen Kirche ein Thema. Pia Grossholz-Fahrni, Synodalrätin der Reformierten Kirchen Bern-Jura-Solothurn weiss, dass die Kirchenleitung die Frauenordination zwar gerne einführen möchte, aber sie von gewissen Kreisen in der Kirche noch nicht akzeptiert wird. Darum seien Gespräche, Erfahrungsaustausch und auch das Erlebnis, Pfarrerinnen in der Schweiz arbeiten zu sehen, sehr wichtig für die Meinungsbildung, sagt Grossholz-Fahrni. «Nur so ist eine Weiterentwicklung möglich.»
Andreas Bättig / ref.ch / 21. April 2017
Dieser Artikel stammt aus der Online-Kooperation von «reformiert.», «Interkantonaler Kirchenbote» und «ref.ch».
Migrationskirchen boomen – was bedeutet das für die Reformierten?