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Meditieren auf dem Bürkliplatz

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02.06.2017
Eine Aktionswoche im Juni will die Zürcherinnen und Zürcher zur Stille bringen: Über 30 Veranstaltungen finden im Rahmen von «Stilles Zürich» statt. Initiiert wurde das Projekt von der reformierten Zürcher Landeskirche.

Stadt und Stille – das beisst sich, könnte man meinen. «Nein, das geht durchaus zusammen», findet der Verein «Stilles Zürich». Er organisiert eine ganze Woche zum Thema Stille: Vom 12. bis 18. Juni finden dazu in der Zürcher Innenstadt über 30 Veranstaltungen statt.

«Es geht uns nicht nur um Lärmfreiheit, sondern um eine Verlangsamung und ein Innehalten», erklärt Vereinspräsidentin Tanja Gentina die Ziele dieser Woche. «Stillwerden ermöglicht das bewusste Wahrnehmen von sich selbst, von seinen Mitmenschen und seiner Umgebung.» Es müsse nicht sein, dass Stadtmenschen die Stille nur ausserhalb der Stadt finden. Sie lasse sich auch im Gewusel der Stadt «pflegen». Die Zürcherinnen und Zürcher sollen unter anderem mit Meditationsangeboten einen Gang herunterfahren, aber auch mit Filmvorführungen oder etwa beim Diskutieren über das Finden der Stille im Kontakt mit Tieren.

Wiederholung geplant
Hinter den Veranstaltungen stehen Menschen aus verschiedenen religiösen und spirituellen Richtungen: Christen, Juden, Buddhisten, Hindus, Yogis und Suchende. So gehören Meditationsschulen zu den Anbietern aber auch Einzelpersonen wie Stadtführerinnen oder Tanzlehrer. Man verstehe das Projekt als offene Plattform, erklärt Gentina. Alle Veranstalter hätten eigens für diese Woche Angebote entwickelt, der Besuch sei kostenfrei. Die Woche soll im besten Fall jährlich stattfinden und zu einem festen Bestandteil der Zürcher Stadtkultur werden.

Aus Frankfurt importiert
Es ist Pfarrerin Brigitte Becker zu verdanken, dass es nun auch in Zürich eine solche Woche gibt. Die Spiritualitätsverantwortliche der reformierten Zürcher Landeskirche kam durch eine Pfarrkollegin aus Deutschland auf die Idee: Diese hatte bereits in Frankfurt in Zusammenarbeit mit der Stadt eine solche Woche initiiert. «Sie erzählte mir begeistert, das Thema Stille habe ganz unterschiedliche Leute zusammengebracht», sagt Becker. «Erst da realisierte ich, das Stille gerade auch für Menschen, die nicht religiös sind, ein spannendes Thema ist.» In Frankfurt sei die Woche der Stille mittlerweile so etabliert, dass selbst die Läden über Mittag ihre Musik ausschalten würden.

Mit der Idee einer Zürcher Variante der Stillewoche ging Becker wiederum auf ihre Pfarrkollegen zu und war von der Resonanz überrascht: «Ich habe nicht damit gerechnet, dass ich von Anfang an so viele Leute für die Idee gewinnen kann.» Dass die Angebote einer solchen Woche nicht nur «aus der christlich-religiösen Ecke» kommen darf, war der Pfarrerin der Kirchgemeinde Zürich Industriequartier von Anfang an klar: «Die Landeskirche kann und soll nicht als Verantwortliche für jede Art von Stille dastehen.»

Versöhnungsgeste der Kirche
Das Einbinden von nichtchristlichen Anbietern in die Stillewoche kommt gut an, so Beckers Erfahrungen aus den Vorbereitungen dieser Woche. Das Bestreben nach gemeinsamer Qualität anstelle des Führens einer Wahrheitsdebatte werde positiv gewürdigt und gar «als Versöhnungsgeste von Seiten der Kirche» wahrgenommen.

Und doch: Nicht jedes Angebot hat Eingang in die Stillewoche gefunden, wie Becker einräumt. Allzu Esoterisches sei deshalb von den Verantwortlichen abgelehnt worden: «Dort wo man mit Stille die Welt heilen will, wird es für mich problematisch.»

Kirche leistet Anschubhilfe
Die Öffnung der Angebotspalette ist denn auch mit ein Grund, weshalb sich «Stilles Zürich» in einem Verein organisiert. Die Landeskirche hat laut Becker nur den Anschub geleistet, damit das Thema Stille seinen Weg in die Stadt findet. Das Projekt sei nun professionell aufgestellt, um auch in den kommenden Jahren durchgeführt zu werden. Dabei liege die Finanzierung der Angebote alleine bei den Anbietern, welche das Projekt als Werbe- und Vernetzungsmöglichkeit schätzen würden, sagt Becker. Nach der Projektphase wisse sie: «Es steckt überall viel Idealismus drin.»

Brigitte Becker selbst wird unter dem Titel «Fotoexerzitien» einen Workshop anbieten. Dabei schickt sie die Leute mit dem Handy durchs Quartier mit dem Auftrag, von der Stille ein Bild zu machen. «Das Ding, das man immer benutzt, um sich abzulenken, soll so zu einem Mittel von einer ganz anderen Qualität werden.»

Als Teilnehmerin wolle sie sicher an einer stillen Führung auf dem jüdischen Friedhof teilnehmen, sagt Becker. Aber auch die Teezeremonie eines Zen-Meisters reize sie. Becker empfiehlt den Stillesuchenden, sich auch auf Fremdes einzulassen: «Auf die Stille kriegt nur Lust, wer Erfahrungen mit ihr macht.»

Raphael Kummer / ref.ch / 2. Juni 2017

Dieser Artikel stammt aus der Online-Kooperation von «reformiert.», «Interkantonaler Kirchenbote» und «ref.ch».

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