News aus dem Thurgau

An den Fall der Fälle denken

min
23.03.2018
Was passiert, wenn ich selber nicht mehr urteilsfähig bin? Eine Frage, die viele verdrängen. Kritisch wird es manchmal, weil nicht vorgesorgt wurde. Was im kirchlichen Umfeld und Bekanntenkreis bedacht werden sollte.

Wenn Familien von der Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde (Kesb) begleitet und von den beauftragten Berufsbeiständen betreut werden, kann es in Ausnahmefällen zu Unstimmigkeiten kommen.

Kirchenmitarbeitende konfrontiert

Pfarrpersonen oder freiwillige kirchliche Mitarbeitende sehen sich gelegentlich mit Umständen konfrontiert, in denen ethische und Glaubensfragen gewälzt werden müssen, wenn es um eine Person geht, die nicht mehr urteilsfähig ist. Der Altnauer Pfarrer Guido Hemmeler erlebt beispielsweise eine Begebenheit, die in seinen Augen nicht ganz optimal läuft, weil eine Person sich im Heim nicht wohl fühlt und gegen den Willen des Lebens­partners nicht mehr im eigenen Haus wohnen kann. Er findet es deshalb wichtig, dass generell sensibilisiert wird. Der kritischen Momente ist er sich durchaus bewusst. Und doch fragt er sich, inwieweit die Würde von Menschen in Ausnahmesituationen gewahrt bleibt. Gerade wenn alte Menschen lieber zu Hause leben als in ein Heim zu ziehen, sieht er Handlungsbedarf und Vorteile für den Steuerzahler. Christian Jordi, Präsident der Erwachsenenschutzbehörde Kreuzlingen, kann solche kontroversen Diskussionen durchaus nachvollziehen. Indes: Oft lägen die Lösungen nicht auf der Hand.

Gutes Umfeldist förderlich

Es sei vorbeugend wichtig, dass Menschen in einem Umfeld leben, das ihnen Halt gibt, sagt Jordi. Kirchgemeinden könnten wesentlich dazu beitragen. Die Zusammenarbeit mit den Kirchen sei zwar nicht institutionalisiert, aber die Kesb machten sehr gute Erfahrungen, wenn es um ethische oder religiöse Aspekte gehe: Es sei hilfreich, wenn Pfarrpersonen oder freiwillige Mitarbeitende in Kirchgemeinden Betroffene persönlich begleiten. Entsprechend hat die Kirche vorgesorgt: Kirchgemeinden und das landeskirchliche Weiterbildungszentrum Tecum bieten immer wieder Vorträge oder umfassende Kurse an, die Landeskirche arbeitet eng mit Fachorganisationen zusammen. Pfarrer Lukas Weinhold begrüsst es, wenn sich Seelsorgepersonen einbringen: «Wenn sie die Betroffenen schon länger begleiten, können sie die Situation gut einschätzen.» Er ist im Kirchenrat der Evangelischen Landeskirche Thurgau für das Ressort Seelsorge zuständig und rät, dass man sich bei quälenden Fragen an die Pfarrerinnen oder Pfarrer vor Ort wendet. Es könne eine wesentliche Hilfe sein, mit einer unabhängigen, vertrauenswürdigen Person alles genau zu analysieren und mögliche Optionen oder Handlungsfelder ins Auge zu fassen.

Vorsorgeauftrag kann Klarheit schaffen

Jordi regt zudem an, vorausschauend Vorkehrungen zu treffen. Er spricht dabei den Vorsorgeauftrag an, in dem man den eigenen Vorsorgebeauftragten bestimmen kann. Er rät ebenso dazu, eine möglichst detaillierte Patientenverfügung zu verfassen, damit der eigene Wille möglichst schlüssig interpretiert werden kann. Gerade bei Paaren, die im Konkubinat leben, sei dies noch wertvoller. Weinhold half schon einige Male, eine Patientenverfügung zu verfassen oder den letzten Willen festzuhalten: «Dass meine Frau und ich je einen Vorsorgeauftrag erstellen, ist für uns eine Selbstverständlichkeit und generell zu empfehlen.»

Breit abgestützt

Im Fall der Fälle sei es immer heikel – egal wer die Massnahmen zu treffen habe, gibt Jordi zu bedenken: «Es ist immer eine Interessenabwägung, und es gibt gewisse medizinische oder seelsorgliche Sachzwänge zu berücksichtigen.» Er betont, dass die Berufsbeistände in engem Kontakt mit Ärzteschaft, Spitex und anderen Fachstellen stünden. Es sei das Ziel, möglichst breit abgestützt zu handeln. Weinhold weiss um die Chancen und Grenzen, die darin liegen, wenn kirchliche Mitarbeitende betroffene Familienangehörige begleiten: «Wenn es um rechtliche Aspekte geht, werden die Seelsorgenden auf juristische Fachpersonen verweisen.» Jordi berichtet von Konstellationen, in denen betroffene Familien sehr dankbar seien, wenn sie auf die professionelle Begleitung zählen können: «Das ist sogar der Normalfall. Denn ein Berufsbeistand kann die schweren Entscheide übernehmen, und die Beziehungen in den Familien werden entlastet.»

(23. März 2018, Text: Roman Salzmann, Bild: Fotolia.com (Symbolbild))

Unsere Empfehlungen

Die Kirche geht zu den Menschen

Die Kirche geht zu den Menschen

Im Frühling wird der Romanshorner Pfarrer Lars Heynen Präsident der Redaktionskommission des Kirchenboten. Im Interview sagt er, wie er sich die Zukunft des viel gelesenen Blattes vorstellt.
Starke Beziehungen trotz sozialer Medien

Starke Beziehungen trotz sozialer Medien

Eine Vorliebe für Technologie, immer online, ungeduldig und fordernd, gesundheits- und umweltbewusst, mit einer Sprache, die man sonst kaum versteht: Wie die «Generation Z» auch Thurgauer Kirchgemeinden fordert.
Das Hungertuch sensibilisiert

Das Hungertuch sensibilisiert

Recht auf Nahrung, Essensproduktion und Ernährungsgewohnheiten: Diesen Themen widmet sich die Ökumenische Kampagne 2023 während der Passionszeit. Einen Beitrag zur Sensibilisierung leistet das Hungertuch.
Beten ist Beziehungspflege

Beten ist Beziehungspflege

Kein Leben ohne Atmen. Kein Glauben ohne Beten. Das Gebet ist existenziell bedeutsam für das Glaubensleben. In ihm geschieht Anrede und die Hoffnung auf Antwort. Wie auch immer diese sich gestaltet: Beten ist Beziehungspflege und Gemeinschaftsvergewisserung.