News aus dem Thurgau

Politische Einmischung entzweit Kirchenvertreter

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08.01.2019
CVP-Präsident Gerhard Pfister kritisiert die Kirchen für ihre politische Einmischung. Und wird dafür von Kirchenvertretern kritisiert. Eine alte Debatte erhitzt sich neu.

Das politische Jahr ist noch jung. Aber bereits haben CVP-Präsident Gerhard Pfister und die katholische Theologin Béatrice Acklin, die für die FDP im Freiburger Stadtparlament sitzt, das Wahlkampfjahr mit einem politischen Dauerbrenner eingeläutet: Auf der Titelseite des Tagesanzeigers kritisieren sie die Kirchen und ihre Vertreter wegen politischer Stellungnahmen und Abstimmungsparolen.

So zum Beispiel die katholische Synodalratspräsidentin Franziska Driessen, die vergangenen Frühling sagte, die SVP sei für Christen nicht wählbar; oder der reformierte Grossmünsterpfarrer Christoph Sigrist, der sich gegen die Durchsetzungsinitiative engagiert hatte.

Für Pfister gehöre es zwar zur Aufgabe der Kirchen, auf Normen hinzuweisen. Sie müssten wie der Papst Mitmenschlichkeit und Lebensschutz anmahnen. Ein Appell zur Mitmenschlichkeit im Asylwesen befähige sie jedoch nicht zu tagespolitischen Empfehlungen in der Migrationspolitik, zitiert ihn der Tagesanzeiger.

Ein Thinktank, der keiner ist
Acklin und Pfister stossen sich an dieser Einmischung der Kirchen. Laut Tagesanzeiger haben sie deshalb den Thinktank «Kirche/Politik» gegründet. Dieser werde sich künftig einmal pro Jahr treffen und Wertebegriffe wie Verantwortung und Freiheit oder Fragen der Menschenwürde diskutieren.

Zum Thinktank gehören demnach Theologinnen und Theologen verschiedener Konfessionen – neben Acklin der Engelberger Alt-Abt Berchtold Müller, der reformierte Theologieprofessor Ralph Kunz und der Glarner Kirchenratspräsident Ulrich Knoepfel –, auch Bundesparlamentarier wie Eric Nussbaumer (SP), Claudio Zanetti (SVP) und Maja Ingold (EVP) seien darin vertreten.

Knoepfel, der auch Ratsmitglied des Schweizerischen Evangelischen Kirchenbundes ist, reagiert auf Anfrage von ref.ch überrascht: Dass ein Thinktank gegründet worden sei, sei neu für ihn. Er habe im November als Privatperson an einem Treffen mit Pfister und Acklin teilgenommen, an dem über Kirche und Politik diskutiert wurde. «Es wurde unter anderem erwogen, 2019 eine Veranstaltung zum Thema durchzuführen», sagt er.

Einmischung nur in Ausnahmefällen
Grundsätzlich unterstützt Knoepfel das Anliegen der beiden Initianten. «Die Kirche muss aufpassen, dass sie nicht zu einem Player unter vielen wird, wie zum Beispiel eine Partei oder eine NGO.» Abstimmungsempfehlungen und die Einmischung in tagespolitische Fragen gehörten höchstens in Ausnahmefällen zur Aufgabe der Kirchen.

Dem pflichtet Initiantin Béatrice Acklin bei. Sie findet es problematisch, wenn Kirchen die Verstärkerrolle für Parteien übernehmen. «In der Kirche gibt es Menschen mit unterschiedlicher Parteizugehörigkeit, deshalb sollten sich Kirchen nicht vor einen parteipolitischen Karren spannen lassen», sagt sie.

Kritik an der Kritik
Nicht überraschend ist die Forderung nach weniger Parolen und mehr Abwägung für Res Peter, Pfarrer des Zürcher Neumünsters. «Es tut Politikern weh, wenn man konkret wird», sagt er. Peter mischt sich regelmässig in politische Debatten ein, zum Beispiel bei der Selbstbestimmungsinitiative und der Unternehmenssteuerreform III.

Es sei gut, wenn Ethiker differenziert abwägen und debattieren, sagt Peter. «Doch im Unterschied zu Ethikern ist es meine Aufgabe als Pfarrer, einen Schluss aus meinen Überlegungen zu ziehen und diesen mit der Gemeinde zu teilen.»

Ähnlich erlebt Grossmünsterpfarrer Christoph Sigrist die Debatte über die politische Positionierung der Kirche: «Gewissen Herren und Frauen passen unsere Positionen nicht. Wenn ich sozialpolitisch argumentiere, höre ich vielfach, dass ich politisch sei. Wenn die Kirche aber bürgerlich argumentiert, wird das nicht als politisch wahrgenommen.»

Sigrist und Peter sind sich einig: Kirche sei immer politisch, sagen sie und verweisen auf Zwingli, der sich seinerzeit lautstark gegen das Schweizer Söldnerwesen aussprach.

Höhere Macht und reformiertes Selbstverständnis
Wenn die Kirchen und ihre Vertreter sich politisch äussern, geht es nicht nur darum, welche Position sie beziehen. Sondern auch wie sie diese legitimieren. Béatrice Acklin stört sich im Tagesanzeigers daran, dass Kirchenleute «ihre Autorität in Politikfragen von einer höheren Macht ableiten».

Da liege Acklin falsch, findet Neumünster-Pfarrer Peter: «Wir äussern uns nicht von oben herab. Die reformierte Kirche ist nicht die Bischofskonferenz. Reformierte müssen selber denken.» Auch Christoph Sigrist verweist auf die reformierte Tradition, sein Amt sei von der Basis legitimiert. «Meine Arbeit als Pfarrer der Kirchgemeinde Stadt Zürich treibt mich zu Aussagen über gesellschaftliche Probleme und Menschenrechte. Das ist die Basis für meine politische Arbeit und meine theologischen Reflektionen.»

Sigrist vergleicht die Funktion der Kirche mit der Rolle des Hofnarren im Mittelalter. «Die Kirche muss den Verantwortlichen den Spiegel vorhalten. Sie tut dies manchmal mit Humor, manchmal mit dem ThinkTank Kirche/Politik.» Sigrist sagt dies mit dem schelmischem Unterton eines Kirchenvertreters, der Kritik an seinem Engagement gewohnt ist – und weiss, wie man damit Aufmerksamkeit erzeugt. Die gleiche Aufmerksamkeit ist auch Pfister und Acklin garantiert. Sie haben das Wahljahr 2019 mit einem Thema eingeläutet, das viel Platz für Meinung lässt. Spätestens bei der nächsten Initiative dürfen die Kirchen wieder darüber streiten.

Patricia Dickson und Heimito Nollé, ref.ch, 7. Januar 2019

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