News aus dem Thurgau

«Ehe für alle» gilt nicht für alle

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20.11.2019
Die «Ehe für alle» auf zivilrechtlicher Ebene wurde von der Abgeordnetenversammlung des Schweizerischen Evangelischen Kirchenbundes (SEK) befürwortet – obwohl von der Basis über 8000 Unterschriften dagegen eingereicht wurden. Die Regelung der kirchlichen Trauung liegt auch nach diesem Entscheid immer noch in der Kompetenz der Kantonalkirchen. Das Thurgauer SEK-Ratsmitglied Ruth Pfister blickt zurück.

Besonders hitzig hat Ruth Pfister, Thurgauer Kirchenrätin und Mitglied des Führungsgremiums des SEK, dem Rat, die Zeit vor der Versammlung erlebt: Unterschriftensammlungen wurden für und gegen die «Ehe für alle» lanciert. Am meisten Unterschriften brachte das nationale Komitee für reformierte Erneuerung zusammen: 8470 Personen vertraten im offenen, biblisch begründeten Brief an die Delegierten des SEK die Meinung, dass sie sich nicht für die Trauung gleichgeschlechtlicher Paare aussprechen sollen. 200 Theologen und Theologinnen haben sich in einer anderen Unterschriftensammlung gegen die Ehe für alle ausgesprochen – darunter viele aus dem Thurgau. «Die Liebe hat einen langen Atem», betonten mit der dritten Unterschriftensammlung 400 Theologinnen und Theologen, darunter Vereinzelte aus dem Thurgau, die ein Manifest für die «Ehe für alle» einreichten.

In ihrer Schlussabstimmung stellten sich die Delegierten mit 49 zu 11 Stimmen deutlich hinter die vorgängig behandelten Anträge zum Thema «Ehe für alle». Der Entscheid der Delegierten gilt für die kantonalen Landeskirchen jedoch nur als Empfehlung. Demnach soll eine kirchliche Trauung dann möglich sein, wenn die Ehe für gleichgeschlechtliche Paare auf zivilrechtlicher Ebene eingeführt wird. Der neue zivilrechtliche Ehebegriffs ist aber noch nicht gesetzlich verankert. Aufgenommen wird diese Frage voraussichtlich in der Frühjahrssession erstmals im Nationalrat. Die Diskussionen in den Eidgenössischen Räten sowie in der Bevölkerung könnten sich noch Jahre hinziehen, bis das Volk allenfalls an der Urne entscheiden kann.

Gewissensfreiheit bleibt
Den Mitgliedkirchen empfehlen die Delegierten ausserdem, dass bei der kirchlichen Trauung in Zukunft die Gewissensfreiheit der Pfarrpersonen gewahrt bleibt: Wer eine Segnung aus Glaubensgründen nicht mittragen kann, darf die kirchliche Hochzeit gleichgeschlechtlichen Paare verweigern. Im Kanton Thurgau ändert sich damit an der geltenden Praxis nichts. Gemäss dem Nachrichtendienst «ref.ch» will sich die Evangelische Landeskirche des Kantons Thurgau nicht unter Druck setzen lassen. So sage Kirchenratspräsident Wilfried Bührer: «Wie wir mit einem allfällig neuen zivilen Ehebegriff umgehen, werden wir erst diskutieren, wenn der entsprechende politische Entscheid gefallen ist». An der Abgeordnetenversammlung wurde hervorgehoben, dass selbst nach dem Entscheid verschiedene Eheverständnisse in der reformierten Kirche Platz haben.

Kontrovers und herausfordernd
Ruth Pfister hat die vergangenen Monate mit kontroversen Diskussionen als grosse Herausforderung erlebt. Das Thema sei nicht nur in der Abgeordnetenversammlung mehrmals, sondern auch im Rat an mehreren Sitzungen intensiv diskutiert worden. Zudem habe sie viel Literatur gelesen und Fachleute des SEK hätten verschiedene Unterlagen aufbereitet. Das mediale Echo sei entsprechend gross gewesen. Zentral: Bekenntnis zu Jesus Die Diskussionen hätten klar gemacht, dass man sich in der reformierten Schweiz nicht einig sei. Das äussert sich auch darin, dass die Schweizerische Evangelische Allianz (SEA), der die meisten evangelischen Thurgauer Kirchgemeinden angehören, nach dem Entscheid verlauten liess, dass dies «ein Schritt in die falsche Richtung » sei. Indes: Pfister betont, dass die protestantische Tradition seit jeher die Einheit in der Vielfalt hoch halte. Damit verbunden sei immer wieder ein Ringen um das biblische Verständnis. Orientierungspunkt bleibe für den Rat das «Evangelium, wie wir es in Wort und Tat leben, und wir sind trotz unterschiedlichen Eheverständnissen eine gemeinsame Kirche». An der Versammlung wurde denn auch deutlich, dass die gemeinsame Mitte das Bekenntnis zu Jesus Christus bleiben soll. Das wiederum ist auch der SEA wichtig. Sie befürchtet allerdings, dass die Gewissensfreiheit nicht gewahrt bleiben könnte, denn: «Auf den sozialen Medien behaupten bereits jetzt namhafte Personen aus der Kirche, dass ‹die Anzahl der andersdenkenden Pfarrpersonen nicht repräsentativ genug für eine Kann-Regelung ist, die Trauung gleichgeschlechtlicher Paare aus Gewissensgründen ablehnen zu dürfen›.»


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(Roman Salzmann, 10. November 2019)

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