News aus dem Thurgau

«Zuhören und vergeben hilft»

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21.04.2020
Markus Kuhn ist Paartherapeut: Die Folgen der Corona-Krise erlebt er in seinem Beruf hautnah. Wie geht er damit um? Und wie kann der Glaube dabei helfen?

Markus Kuhn, Sie sind «Krisenmanager» in Beziehungsfragen. Schiebt ein Krisenmanager in einer solchen Krise wie der Corona-Situation auch mal eine Krise?
Auch ein Mediator ist als private Person nicht vor Krisen gefeit. In Bezug auf Corona habe ich es bisher aber geschafft, Ruhe zu wahren.

Wie profitieren Sie dabei von Ihrer Ausbildung und Tätigkeit?
Aufgrund meiner Ausbildung und Tätigkeit bin ich sensibilisiert auf Themen, die Krisen und Konflikte betreffen. Dadurch reagiere ich in meinem Alltag auch ausserhalb meiner Mediationstätigkeit bewusster auf Krisensituationen.

Welche Gefahren sehen Sie in der Corona-Krise für Beziehungen?
Die Corona-Krise zwingt uns zu dem, was die meisten sich wünschen: Zeit zu Hause. Dabei kumulieren sich bekannte sowie ungewohnte Herausforderungen: Zuhause bleiben und sich in seiner Freiheit eingeschränkt fühlen, Homeoffice und sich abgrenzen können, meiden von Kontakten, obwohl Beziehungen leiden oder zerbrechen könnten, mangelnde Bestätigung, wenn die unmittelbare Rückmeldung von Vorgesetzten oder dem Team fehlt, die Nähe der Familie, wodurch Konflikte entstehen, denen nicht aus dem Weg gegangen werden kann und einiges mehr. Dazu kommen Fragen, welche die Gefahr, die Ursache und die Folgenden von Corona betreffen. Dies sind einige Faktoren, die verunsichern und zu Stress führen können, aber auch Chancen für persönliche Veränderungen darstellen. Die Corona-Krise scheint zurzeit unser Leben in seiner Gesamtheit zu beeinflussen, im persönlichen Alltag, im Gemeindeleben, in der eigenen Überzeugung sowie im sozialen Umfeld.

Manchmal wird in den Medien berichtet, dass Paare in der Corona-Krise überfordert sind, den Alltag so nahe zusammen zu gestalten. Welche Tipps geben Sie, dass Beziehungen gelingen und nicht scheitern?
Sich gegenseitig zuhören und vergeben. Um eine so intensive Nähe zulassen zu können, hilft es auch, einander bewusst Freiräume zuzugestehen. Den eigenen Standpunkt zu verlassen oder den Fokus zu verändern, beinhaltet auch in dieser Hinsicht grosses Potenzial. Auseinandersetzungen sind in dieser Situation normal. Beratungsstellen sollen lieber früher als zu spät zu Hilfe gezogen werden.

Kann der Glaube helfen, die Corona-Krise besser zu meistern?
Bibelstellen oder Liedtexte helfen, unseren Fokus zu verändern und unser Vertrauen in Gott zu stärken, dass er uns Menschen nicht im Stich lässt und durch diese Krise hindurch trägt.

Worin sehen Sie Seelsorgende und die Kirche besonders gefordert?
Mit unseren elektronischen Hilfsmitteln eröffnen sich viele Möglichkeiten, in Kontakt zu bleiben und Beziehung virtuell oder am Telefon zu pflegen. Ich bin überzeugt, dass dies über eine kurze Zeit ohne gravierende Folgen funktionieren wird. Die Psyche des Menschen ist aber auch in unserer Zeit angewiesen auf direkten und persönlichen Kontakt – also audiovisuell und physisch. Fehlende soziale Interaktionen stellen nicht nur für ältere Menschen ohne Zugang zu elektronischen Medien eine Gefahr dar, sondern auch in Fällen von häuslicher Gewalt. Darin sehe ich eine grosse Herausforderung für die Kirche.

 

Weitere Infos zu Markus Kuhn und seinen Tätigkeiten: www.imblickwinkel.ch

 

(Interview: Roman Salzmann, 8. April 2020)

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