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«Die Wirklichkeit ist bereits jetzt eine andere»

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19.05.2020
Nach zwölf Jahren als Kirchensekretärin der reformierten Kirche Baselland tritt Elisabeth Wenk auf Ende Juni zurück. Im Interview spricht sie über Veränderungen in der Kirche und wie die Corona-Krise ihren Abschied durcheinanderbrachte.

Frau Wenk, seit Ihrem Stellenantritt 2008 hat sich die Baselbieter Kirche verändert. Was sticht für Sie heraus?
Die strukturellen Veränderungen im Hintergrund, die zur neuen Verfassung und Totalrevision der ganzen Gesetzgebung führten. Die Kirchgemeinden und die finanziellen Mittel werden kleiner. Das verändert vieles. Als ich anfing, hatte jede Kirchgemeinde Anspruch auf mindestens eine volle Pfarrstelle. Heute liegt die Mindestdotierung bei 60 Stellenprozenten. Ein Teil davon kann auch mit Sozialdiakonen oder Religionslehrpersonen besetzt werden. Dies erhöht die Zusammenarbeit zwischen den Kirchgemeinden, weil man mit 60 Prozent nicht alles leisten kann. Ich sehe dies einerseits als Chance. So kommen verschiedene Gaben und Fähigkeiten zusammen, die man gemeinsam nutzen kann. Andererseits steigen dadurch die Anforderungen an die Verantwortlichen in den Kirchgemeinden. Sie müssen über die eigene Kirchgemeinde hinausdenken. Das Kirchenpflegepräsidium ist heute eine äusserst anspruchsvolle Aufgabe.

 Was hat Ihnen am meisten Freude bereitet bei Ihrer Arbeit?
Ich liebe die Vielseitigkeit. Ich berate sehr gerne. Die Fragestellungen, welche mich aus den Kirchgemeinden, aus der Synode oder den Fachstellen erreichten, waren sehr vielfältig. Es geht um formale, juristische, psychologische Probleme oder um Abläufe. Wenn ich am Abend zehn solche unterschiedlichen Fragen abgeklärt und beantwortet hatte und die Leute daraufhin wussten, wie sie weiter vorgehen müssen, machte mich das glücklich und zufrieden. Es war auch immer schön, wenn es gelang, für eine bestimmte Aufgabe die richtige Person zu finden. Und wenn ich wie neulich an einem Ort, wo es lange immer geknistert hatte, spürte, dass Ruhe eingekehrt war und alle gut miteinander auskamen, freute ich mich. Ich werde viele Leute vermissen.

Was werden Sie gar nicht vermissen?
Dass ich selten in Ruhe an etwas arbeiten konnte, weil ich immer wieder unterbrochen wurde oder einen Termin im Rücken hatte. Doch ich werde eindeutig mehr vermissen als nicht vermissen.

Zuletzt mussten Sie sich auch noch mit der Corona-Krise auseinandersetzen.
Die Corona-Krise hat meinen Abschied beschleunigt und schwieriger gemacht. Die Arbeit im Krisenmodus war eine neue grosse Herausforderung. Die Pandemie konfrontierte uns mit Fragen, an die man vor drei Monaten nicht im Traum gedacht hätte. Das war spannend, aber auch anstrengend. Ich stellte mir eine saubere Arbeitsübergabe an meinen Nachfolger mit dokumentierten Abläufen vor. Die Corona-Krise hat uns einen Strich durch die Rechnung gemacht. Wir mussten von einem Tag zum andern ins Homeoffice. Der direkte Kontakt mit den Kolleginnen und Kollegen fiel plötzlich weg. Viele Veranstaltungen, auch die Synode, an denen ich noch ein letztes Mal dabei gewesen wäre, wurden abgesagt. Das hat sehr viel von meinem Abschied vorweggenommen.

Können Sie dieser schwierigen Zeit auch Positives abgewinnen?
Ich finde es grossartig, wie sich viele Menschen auf diese Situation eingelassen haben und das Beste daraus machten, auf allen Ebenen der Kirche. So viele gelungene Ideen, die zeigen, wie man trotz der physischen Distanz Kirche sein und bei den Leuten sein kann.

Haben die Leute die Kirche in dieser Zeit stärker wahrgenommen?
Ich glaube, dass in der ersten Zeit des Lockdowns mehr Leute erreicht wurden als sonst. All die virtuellen Angebote schauten viele, die in normalen Zeiten nicht in den Gottesdienst kamen. Der Bedarf war gross. Nicht alle suchen in der Kirche das Gemeinschaftserlebnis. Ich finde es schön, dass die Krise den Blick auf das Wesentliche wieder geschärft hat, auf das Füreinander und die Schöpfung. Ich wünsche mir, dass etwas davon in die Zeit nach der Pandemie gerettet werden könnte. Ich habe den Eindruck, dass diese Umsicht zu Beginn der Krise stärker war und der Rückweg jetzt anspruchsvoller ist.

Inwiefern?
Wir müssen uns überlegen, was wir von dieser Zeit mitnehmen können, welche Erfahrungen gut und wichtig waren. Wir gehen in eine veränderte Situation, wenn Gottesdienste und Veranstaltungen wieder stattfinden können. Die Wirklichkeit ist bereits jetzt eine andere. Der Kirchenrat möchte diese Zeit auswerten und schauen, wie sich das kirchliche Leben in der Zukunft verändert.

Was wünschen Sie der Baselbieter Kirche für die Zukunft?
Menschen, die bereit sind, sich zu engagieren und Verantwortung zu übernehmen. Ich wünsche der Kirche Mut und Weisheit und vor allem Augenmass bei den Entscheidungen, die anstehen. Es ist klar, dass strukturelle Anpassungen nötig sind. Und die Kirchgemeinden sollten sich weniger mit Bürokratie beschäftigen müssen, sondern mit dem Leben, das vielfältig und bunt ist. Ich wünsche der Baselbieter Kirche viel Gottvertrauen und Segen.

Karin Müller

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