News aus dem Thurgau

Noch keine wirkliche Kirchengemeinschaft

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19.11.2020
Nach der Nichtwahl der Westschweizer Kandidatin Isabelle Graesslé an die Spitze der Evangelisch-reformierten Kirche Schweiz kommt aus der Romandie grundsätzliche Kritik am Umgang der Deutschschweizer Kirchen mit Minderheiten. Die Erfahrungen der welschen Kirchen etwa würden zu wenig ernstgenommen.

Didier Halter, Co-Präsident der Liturgiekommission der Evangelisch-reformierten Kirche Schweiz EKS, ist unter Protest von seinem Amt zurückgetreten. «Ich wollte dies öffentlich machen, weil das Unbehagen, das die Nicht-Wahl einer französischsprachigen Frau an die Spitze der EKS verursacht hat, nicht nur persönlicher Natur ist», so der Walliser in seinem Rücktrittsschreiben. Zur Erinnerung: Im Oktober setzte sich die Zürcherin Rita Famos bei der Wahl zur EKS-Präsidentin klar gegen die Westschweizer Kandidatin Isabelle Graesslé durch.

Zu wenig gehört
«Es war nur der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte», erklärt Halter, der sich auch während mehrerer Jahre in der Abgeordnetenversammlung des Schweizerischen Evangelischen Kirchenbunds, der heutigen EKS, engagierte. Schon seit längerem sieht er eine «gläserne Decke» für Romands innerhalb der EKS: «Unter den jetzigen Bedingungen ist eine echte Kirchengemeinschaft zwischen der französischen und der deutschen Schweiz nicht möglich.» Die Mehrheit habe immer Mühe zu erkennen, dass die Minderheit nicht einfach ähnlich, sondern eben zum Teil ganz unterschiedlich sei. Von Kirchenverantwortlichen erwarte er aber in Minderheitenfragen eine besondere Sensibilität. «Die Säkularisierung zum Beispiel ist in der Romandie viel ausgeprägter als in der Deutschschweiz und dabei geht es nicht nur um Geldfragen, sondern um eine ganz andere Befindlichkeit», sagt Halter. Doch über diese werde kaum diskutiert innerhalb der EKS.

Der Pfarrer beklagt einen Teufelskreis: Je weniger ernstgenommen sich die Romands fühlten, umso mehr zögen sie sich zurück, nach dem Motto: «Warum sollten wir uns auf nationaler Ebene noch engagieren, es wird sowieso alles ohne uns entschieden.» Für eine echte Kirchengemeinschaft, in der man sich in aller Unterschiedlichkeit als gleichwertig begegne, müssten sich letztlich beide Seiten viel mehr engagieren, ist Halter überzeugt.

Ein Ratsmitglied mehr
Von einem echten Röstigraben möchte der Neuenburger Pierre Bühler nicht sprechen. Doch auch er ist sehr enttäuscht über die Nichtwahl der Westschweizer Kandidatin Isabelle Graesslé. «Grundsätzlich freue ich mich aber, dass nun eine Frau an der Spitze der EKS steht.» Rita Famos habe zudem betont, die Anliegen und Erfahrungen der Westschweizer Kirchen ernst nehmen zu wollen. «Das muss sie nun beweisen.»

Dennoch bedauert Bühler, der vor seiner Pensionierung lange Zeit als Theologieprofessor an der Universität Zürich lehrte, dass das Präsidium des nationalen Kirchenverbandes seit 34 Jahren zwischen Zürich und Bern geteilt wird. «Das ist nicht nur für die Romandie, sondern auch für kleinere Kirchen in der Deutschschweiz problematisch.»

Umso wichtiger findet es der Theologe, dass die französischsprachige Schweiz im Rat der EKS gut vertreten ist. Im Moment sind zwei der sechs Ratssitze nebst dem Präsidialsitz mit einer Vertreterin, einem Vertreter aus der Westschweiz besetzt – die Waadtländerin Esther Gaillard und der Freiburger Pierre-Philippe Blaser. «Wenn das Präsidium in der Deutschschweiz liegt, könnte es durchaus ein welsches Ratsmitglied mehr vertragen», findet Bühler. Immerhin aber sei der Neuenburger Pierre de Salis Präsident der EKS-Synode.

Erfahrung als Bekenntniskirche
Klar ist: Von den Genfer und Neuenburger Kirchen, die durch die Trennung von Kirche und Staat zu Bekenntniskirchen wurden, gäbe es einiges zu lernen. «Wir wissen viel zu wenig voneinander», ist Bühler überzeugt. Und das nicht nur in Bezug auf die unterschiedliche theologische Kultur in den von Calvin und Zwingli geprägten Kirchen. Der Theologe glaubt, dass mehr Begegnung Abhilfe schaffen könnte. «Deutschschweizer und Westschweizer Kirchgemeinden könnten sich zum Beispiel zu Partnergemeinden zusammentun und sich so gegenseitig inspirieren.»

Kirche mit Brückenfunktion
Die Berner Kirche ist die einzige der grossen Deutschschweizer Kirchen, die mit dem Berner Jura auch französischsprachige Mitglieder hat. Für diese kleine Minderheit investiert sie viel an Übersetzungs- und Unterstützungsgeldern. «Wir haben eine Brückenfunktion, die es ernst zu nehmen gilt», sagt Judith Pörksen.

Als sie im August zur Synodalratspräsidentin der Kirchen Bern-Jura-Solothurn gewählt wurde, gewann auch sie über einen französischsprachigen Kandidaten. Die Berner Kirche habe nach der Wahl von Rita Famos klargemacht, dass es nun kein zweites Zürcher Ratsmitglied mehr brauche. «Wir möchten bei den nächsten Wahlen wieder einen Berner Sitz erhalten und werden französischsprachige Kandidaturen innerhalb unserer Kirche sorgfältig prüfen», sagt Pörksen.

Christa Amstutz, reformiert.info

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