News aus dem Thurgau

Wie packen Sie eine Krise konkret an?

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20.03.2023
Sie alle sind krisenerprobt: Walter Fust, Barbara Schenkel und Thomas Meier. Doch ein Patentrezept gegen die Krise gibt es nicht.

Walter Fust

«Nach dem Ende des Bürgerkriegs in Mosambik fragte ich den Präsidenten, wie es mit dem Regieren in Friedenszeiten stehe. Er antwortete: ‹Es ist einfacher, eine Krise zu bewältigen als das normale Leben.› Er meinte damit, dass zur Bewältigung von Krisen einfachere Regeln und direktes Handeln den Vorrang vor langen Abwägungen haben, was und wie etwas getan werden muss oder soll. Als Direktor der DEZA war ich mit 22 Kriegen oder Katastrophen (Tsunami, Erdbeben) beschäftigt. Bei diesen Einsätzen musste die Lage beurteilt und die Ursachen analysiert werden, bevor es zu Einsätzen kam. Dazu gibt es Wissen, Methoden und zugängliche Erfahrungen. Anders sieht es mit den Lösungsansätzen, den Wegen aus Krisen und den Arbeitsmethoden aus. Da ist jede Krise anders. Es muss dem lokalen Kontext, der Kultur, den Machtverhältnissen und den Wertvorstellungen der Menschen und der Gesellschaft Rechnung getragen werden. Krisen können auch eine Chance sein, Situationen zu verbessern und neue Kräfte zu mobilisieren.

Meist geht es auch um Menschen, ihre physische und psychische Belastbarkeit nicht zu strapazieren, und um ein Streben nach einem besseren Leben in Frieden und Freiheit. Wichtig ist der Umgang mit Emotionen. Es geht nicht nur um «kaltes» Wissen, wie aus der Krise herauszukommen ist. Es geht um Verständnis für Anliegen von Menschen, um Zuhören, um Spenden von Trost und um Ermutigung. Es ist fast noch wichtiger, wie der Mensch sein Schicksal nimmt, als wie sein Schicksal ist. Und es ist unglaublich, wie viel Kraft die Seele dem Körper zu leihen vermag.

Es macht mich traurig, menschliches Leid ansehen zu müssen. Ich bleibe aber Optimist und hoffe auf klügere neue Generationen! Wie schrieb doch Tolstoi in ‹Krieg und Frieden›: ‹So wie man Feuer nicht mit Feuer löschen kann, kann man Böses nicht mit Bösem vergelten.›»

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Barbara Schenkel

«In Zeiten von Krisen und Wirren brauchen wir Ankerplätze, die Rückhalt bieten. Es ist erstaunlich, was Menschen alles aushalten, wenn sie zumindest eine stabile Zone im Leben haben, die in Belastungssituationen Rückhalt bietet. Turbulente Veränderungen, ja selbst bittere Not und Enttäuschung sind erträglich, wenn wir Ankerplätze haben, die auch reissender Strömung standhalten. Was sind solche Ankerplätze? Zum Beispiel Werte: tiefer Glaube, Philosophie, ein wissenschaftliches Weltbild, Moralvorstellungen, politische Ideologien, Traditionen, der Dienst an einer ‹gerechten Sache›, Hingabe an Musik und Kunst, aber auch ein starkes berufliches Interesse.

Auch Menschen sind Ankerplätze. Wertvolle, andauernde Beziehungen pflegen wir gewöhnlich in der Familie, in Freundschaften, mit guten Kolleginnen und Kollegen. Sie sind geprägt von Vertrauen. Halt geben können auch Orte: die Strasse, in der wir aufgewachsen sind, oder ein Haus oder eine Bank unter einem Baum. Diese Orte erleben wir oft als Heimat.

Weitere Ankerplätze sind vertraute Gegenstände. Das kann ein altes Kleidungsstück sein, eine Tabakpfeife, ein Erbstück oder ein Foto. Manchmal nehmen wir solche Sachen auf Reisen mit oder tragen sie stets bei uns. Schliesslich sind noch Gemeinschaften zu nennen: Kirchengemeinschaften, Betriebe, Berufsgruppen, Institutionen, Vereine, Sportverbände, politische Parteien. Es sind menschliche Gemeinschaften, denen wir angehören wollen, weil wir uns mit deren Zielen identifizieren und Anerkennung, Zugehörigkeit und Geborgenheit erleben.Die Gemeinsamkeit dieser Ankerplätze besteht in der Vermittlung von Sicherheit und Verbundenheit. Diese Grundbedürfnisse haben wir umso nötiger, je grösser die Krisen und Wirren in und um uns toben. Wir können Ankerplätze jederzeit gestalten und pflegen und damit schaffen wir in Selbstfürsorge Orte des Rückhalts, der Regeneration und der Orientierung für schwierige Zeiten.»

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Thomas Meier

«Von 1996 bis 2019 habe ich zusammen mit zwei anderen Fachleuten das St. Galler Care-Team (Einsatzgruppe Psychologische Erste Hilfe) aufgebaut. Als Care-Team-Mitglied besteht mein Auftrag darin, betroffene Opfer, Angehörige und Helfer darin zu unterstützen, sich zu beruhigen, Sicherheit und Überblick zu gewinnen, die traumatische Erfahrung einzuordnen und schrittweise in den Alltag zurückzufinden. Darauf konzentriere ich mich in einem Einsatz.

Wenn ich selber Gefahr laufe, die Kontrolle über meine Emotionen zu verlieren, begebe ich mich für einen Moment aus dem Geschehen. Ich spreche ein Stossgebet, wende Entspannungstechniken an oder tausche mich mit Kolleginnen und Kollegen aus. Wichtig ist das Einholen von Informationen schon vor, aber auch während eines Einsatzes, um stets den Überblick zu haben, ein klares Vorgehen planen und mich immer wieder neuen Begebenheiten anpassen zu können. Unmittelbar nach einem aussergewöhnlichen Ereignis benötigen betroffene Menschen in erster Linie Sicherheit, um sich emotional stabilisieren zu können (sehr hilfreich sind dabei soziales und religiöses Eingebundensein). Opfer, Angehörige und Helfer müssen versorgt werden mit Unterkunft, Essen und Trinken. Wichtig ist, sie gegen Gaffer und Presseleute abzuschirmen.

Damit es Betroffenen gelingt, das Erlebte einzuordnen, zu verarbeiten und irgendwann als Erinnerung im Frontalhirn abzulegen, sollten sie über das Erlebte sprechen und Lücken in ihrer Traumaerfahrung mit erhaltenem Wissen füllen können.

 

Zusammengestellt: Stefan Degen, Katharina Meier | Fotos: zVg – Kirchenbote SG, 21. März 2023