News aus dem Thurgau

Kunstwerke als Botschafter eines bedrängten Landes

von Christian Saehrendt, kirchenbote-online
min
20.03.2023
Die Ukraine kämpft um ihr Überleben. Auch die Kunst des Landes leistet ihren Beitrag dazu. Das Kunstmuseum Basel präsentiert derzeit in der Ausstellung «Born in Ukraine» eine Auswahl bedeutender Werke aus der Kyjiwer Gemäldegalerie, dem nationalen ukrainischen Kunstmuseum.

Kurz nach Beginn des russischen Angriffs im Frühling 2022 hatte sich die Kyjiwer Gemäldegalerie an das Kunstmuseum Basel gewandt. Die Gemäldegalerie beherbergte in Friedenszeiten in der ukrainischen Hauptstadt über 14'000 Exponate, von einzigartigen Ikonen aus dem 13. Jahrhundert bis zu Meisterwerken des 20. und 21. Jahrhunderts. Weil der weitere Verlauf der russischen Invasion schwer abzuschätzen war und Schutzräume fehlten, suchten die Kuratoren Museen im Ausland, die Werke für eine befristete Zeit aufnehmen würden. Zudem bestand die Gefahr, dass Russland Kunstwerke erbeuten und ausser Landes bringen würde, was ja auch später in anderen Landesteilen, etwa in Cherson, geschah.

Ein Stück Heimat
Die Kunstwerke «beantragten Asyl»: Nicht nur besonders verletzliche Menschen sollten in Sicherheit gebracht werden, sondern auch Bilder, die für die nationale Identität der Ukraine wichtig sind, denn gerade ihre kulturelle Identität wollen die russischen Angreifer erklärtermaßen auslöschen. Zugleich sollten die Kunstwerke, die auf diese Weise Asyl erhielten, auch als Botschafter der Ukraine fungieren und dem westeuropäischen Publikum vorgestellt werden. Auch bietet die Ausstellung ukrainischen Flüchtlingen im Drei-Länder-Eck Basel eine Wiederbegegnung mit der vermissten Heimat.

Keine homogene russische Kunst
Die Schau Born in Ukraine präsentiert 49 Gemälde aus dem 18. bis 20. Jahrhundert und verweist damit auf die Geschichte der ukrainischen Nationalgalerie, die – als die Ukraine Teil der Sowjetunion war – als Kyjiwer Museum für Russische Kunst bekannt war. Seit 2014 widmet sich das Museum der Erforschung der eigenen Sammlung, die die bis dahin gängige, und im heutigen Russland immer noch dominierende Idee einer vermeintlich homogenen russischen Kunst in Frage stellt. Nun hat der russische Angriff diesem Vorhaben eine buchstäblich existenzielle Dringlichkeit verliehen.

Zu den in Basel gezeigten Künstlern gehören Ilja Repin, Dmytro Lewytsky, Wolodymyr Borowykowsky, Archyp Kuyindschi, Mykola Jaroshenko und Dawyd Burliuk, die zwar auf ukrainischem Gebiet geboren wurden, aber dennoch als kulturelle Exponenten des russischen Reiches und später der Sowjetunion galten. Einige von ihnen liessen sich später in Westeuropa oder den USA nieder.

Vereinnahmt vom russischen Nationalismus
Neben diesen ethnischen Ukrainern sind in «Born in Ukraine» Künstler mit jüdischen, polnischen, armenischen oder griechischen Wurzeln vertreten, deren Praxis gleich von mehreren nationalen Traditionen geprägt wurde. Besonders brisant sind heute die Fälle jener ukrainisch-russischen Doppelidentitäten: Gebürtige ukrainische Künstler, die in Russland ausgebildet wurden und dort Karriere machten, und die im Nachhinein vom russischen Nationalismus vereinnahmt wurden.

Der bekannteste von Ihnen ist Ilja Repin. Er gilt noch heute als Hauptrepräsentant des russischen Realismus, war Stalins Lieblingsmaler und Schöpfer von ikonischen Gemälden wie «Iwan der Schreckliche und sein Sohn». Es zeigt Iwan IV., der seinen sterbenden Sohn in den Armen hält, nachdem er ihm selbst einen tödlichen Schlag mit seinem Zarenzepter gegen die Schläfe verabreicht hat. Ob Iwan seinen Sohn erschlug, ist nicht sicher belegt. Im heutigen Russland arbeiten Regierung und extreme Nationalisten an der Rehabilitierung Iwans. Sie vertreten die These, der Zarewitsch sei von unbekannten Tätern vergiftet worden. Ein Zar, der möglicherweise seinen Sohn in einem Wutanfall selbst tötete, passt da nicht ins patriotische Bild. Folgerichtig wurden bereits mehrfach Anschläge von Fanatikern auf das Bild in der Moskauer Tretjakow-Galerie verübt, zuletzt 2018.

Kosakenstaat: Keimzelle der Ukraine
Ein weiteres meisterhaftes Historienbild Repins trägt den Titel «Die Saporoger Kosaken schreiben dem Sultan einen Brief». Die Kosaken in der Region Saporoschje/Saporischschja waren Wehrbauern mit weitreichender Autonomie. Ihr Kosakenstaat am Unterlauf des Dnjepr gilt als eine historische Keimzelle der Ukraine. Das Gemälde zeigt die grobschlächtigen Kosaken lachend und feixend, während sie im Jahr 1676 einem Schreiber den Antwortbrief an den türkischen Sultan diktieren, der die Oberhoheit über die Region beanspruchte. Man kann sich vorstellen, dass der Wortlaut des Briefes von Derbheiten nur so strotzte. Das Gemälde kann aber nicht nur dem ukrainischen, sondern auch dem russischen Nationalismus als Referenz dienen. Zar Alexander III. kaufte es damals für eine Rekordsumme. Schliesslich demonstriert das Bild, wie die raumfremde Macht der Osmanen aus dem russischen Einflussgebiet verdrängt wird – einige Jahrzehnte später wird diese Region als «Neurussland» dem Zarenreich einverleibt werden.

Wegbereiter des sozialen Realismus
Repin verehrte die ukrainischen Kosaken. Schliesslich stammte er aus der Ukraine und kehrte oft dorthin zurück, um Land und Leute zu zeichnen und zu malen. In Basel ist er unter anderem mit einem bescheidenen «Ukrainischen Bauernhaus» vertreten. Nicht nur die grossen historischen Ereignisse und Führungsfiguren interessierten ihn, gerade auch das Leben der einfachen Menschen und armen Bauern. Sein handwerkliches Können, sein genauer und schonungsloser Blick machte ihn zu einem Wegbereiter des sozialen Realismus in der Kunst.

 

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