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Ohne Blutpathos ist das Kreuz nicht blutleer

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22.03.2022
Das Ostermotiv ist Dreh- und Angelpunkt des christlichen Glaubens: Kreuzigung und Auferweckung. Oft wird davon in blutigen Bildern gesprochen – von Christi Erlöserblut, das Sünden reinigt. Da stellt sich die Frage: Geht das auch ohne Blutpathos?

Eine Kreuzigung ist blutig. In der Realität und in der Fiktion. In der Kunstgeschichte wimmelt es von Jesu am Kreuz als Bilder und Kruzifixe. Mel Gibson schliesslich bannte die Gewaltszenen in «The Passion of the Christ» auf Leinwand. Er sparte nicht mit Theaterblut.

Auch auf evangelischer Seite wurde der blutige Aspekt der Leidensgeschichte Christi zelebriert. Extrem war diese Blut- und Wunden-Frömmigkeit in den Anfängen der Herrnhuter Brüdergemeinde, einer pietistischen Bewegung aus dem 18. Jahrhundert. Ihre Lieder besangen die «blut’gen Gnadenmeere», schwärmten von der Freude, sich «seliglich am Wunden-Bach» zu weiden und verklärten das «Seitenhölchen» Christi, die durch einen Lanzenstich am Kreuz verursachte Seitenwunde.

 

«Es ist der Mensch, den die Schuld bedrückt. Es ist nicht Gott, der Sühne fordert.»

Benjamin Manig, Theologe

 

Zweifellos ist das Sinnbild des Blutes in der Theologiegeschichte wirkmächtig: Gott opfert seinen Sohn am Kreuz. Sein Blut tilgt die Sünde der Menschheit. Satisfaktion – Wiedergutmachung – nannte dies der mittelalterliche Theologe Anselm von Canterbury. Auf Deutsch hat sich der Begriff des Sühneopfers eingebürgert.

Jom Kippur, Der Tag der Versöhnung

Benjamin Manig doktoriert an der Universität Zürich und hat Blut- und Opfermetaphern untersucht. Kritik am Sühneopfer kann er verstehen: «Dahinter steckt ein grosses Missverständnis, nämlich die Vorstellung eines rachsüchtigen Gottes, der unbedingt Blut sehen muss, damit Verbrechen gesühnt sind.» Dafür tue er Schreckliches: «Er opfert seinen Sohn. So ist er besänftigt und kann wieder freundlich sein zu den Menschen.»

Die Kritik am rachsüchtigen Gott ist nicht neu. Sie geht zurück ins 19. Jahrhundert, unter anderem auf den Philosophen und Religionskritiker Friedrich Nietzsche. Wo die düsteren Gewitterwolken des «zürnenden Jehova» hingen, spottete er mit einer gehörigen Portion Antijudaismus, werde Jesus Christus wie «das plötzliche Hindurchleuchten eines einzelnen Sonnenstrahls» empfunden, «wie ein Wunder der Liebe».

Dem Bild des rachsüchtigen Gottes hält Neutestamentler Manig die Erkenntnisse seiner Forschung entgegen: «Für Paulus ist das Kreuz nichts Böses. Es ist vielmehr der Ort, wo Gott seine Liebe radikal offenbart.» Paulus nehme einfach ein Motiv als Erklärung, das er kenne: Jom Kippur.

Jom Kippur, der Tag der Versöhnung, war schon zur Zeit Jesu der höchste jüdische Feiertag. «Es war der einzige Tag im Jahr, an dem der Hohepriester ins Allerheiligste des Tempels ging, also quasi vor Gott hintrat», erklärt Manig. Dort nahm er das Blut eines Schafbocks und sprengte es in die Luft. «Dadurch wurde die Verbindung zwischen Gott und seinem Volk sichergestellt.»

Reinigende Kraft des Blutes

In der Antike waren Tieropfer verbreitet. In der jüdischen Tradition, aber auch in der griechischen und römischen Welt. «Es gibt im Alten Testament nur eine Stelle, die das Opfer erklärt», weiss Manig, nämlich im Buch Levitikus: «Denn das Leben des Fleisches ist das Blut, und ich habe es euch für den Altar gegeben, damit Sühne für euch erwirkt werden kann. Denn das Blut ist die Lebenskraft und erwirkt Sühne.» Da stellt sich die Frage, weshalb es die Kraft des Blutes braucht, um Sühne zu erwirken?

Eine Antwort liegt im schreienden Unrecht, das in der Welt tagtäglich begangen wird. Wie weiterleben nach Krieg, Mord und Totschlag? Sühne sei nicht das Bedürfnis Gottes, sondern ein Bedürfnis des Menschen, stellt Manig fest: «Es ist der Mensch, den die Schuld bedrückt, der reinen Tisch machen will. Und Gott bietet dem Menschen eine Möglichkeit, das zu tun.»

 

«Ohne Zweifel hätte es auch gereicht, wenn Gott ein paar Tropfen Blut weniger vergossen hätte.»

Mel Gibson, Regisseur

 

Das Ur-Gewaltverbrechen in der Bibel ist der Brudermord von Kain an Abel. «Horch, das Blut deines Bruders schreit zu mir vom Ackerboden», sagt Gott zu Kain, nachdem dieser seinen Bruder Abel erschlagen hat und alle Schuld von sich weist. Und er verflucht ihn: «Verflucht bist du, verbannt vom Ackerboden, der seinen Mund aufgesperrt hat, um aus deiner Hand das Blut deines Bruders aufzunehmen.» Nach einem Kapitalverbrechen kann man nicht einfach mir nichts, dir nichts zur Tagesordnung übergehen. Das Leben braucht eine neue Ordnung. Sühneopfer sind ein Versuch, eine neue Ordnung herzustellen. Auch Kain handelt mit Gott eine neue Ordnung aus, eine Mischung aus Strafe und Schutz, besiegelt durch das Kainsmal.

Interessanterweise wird für das Kainsmal, eine Art Schutzzeichen, kein Blut benötigt. Und auch über Jesu Tod kann man sprechen, ohne Blutmetaphern zu benützen. «Schon im Neuen Testament gibt es nicht nur eine Interpretation des Kreuzestodes Jesu», weiss Bibelwissenschaftler Manig. «Es gibt verschiedene Deutungen, weshalb Jesus am Kreuz starb.»

Ostern ohne Blutmetapher

So zum Beispiel im Johannesevangelium. Dort gehe es um Liebe und Freundschaft, sagt Manig: «Niemand hat grössere Liebe als wer sein Leben gibt für seine Freunde», heisst es da. Dieses Bild, füreinander bis in den Tod zu gehen, sei uns näher als die Vorstellung des erlösenden Opferblutes.

Als zweites Beispiel erwähnt Benjamin Manig den Philipperhymnus, ein altes Lied im Philipperbrief: «Dort kommt Jesus vom Himmel herunter, stirbt am Kreuz und geht wieder in den Himmel.» Diese Bewegung stehe im Vordergrund. «Von Blut und Sühne steht da nichts.» Dafür von Gehorsam: «Jesus blieb Gott gehorsam, dem Liebesgebot gehorsam, und indem Gott ihn auferweckt, gibt er sein Ja dazu. Jesus geht uns mit seinem Beispiel voran..»

Es gibt in der christlichen Theologie also durchaus Wege, sich der Kreuzigung Christi ohne Blutpathos zu nähern. Selbst Mel Gibson soll im Nachgang von «The Passion of the Christ» in einem Interview zugegeben haben: «Ohne Zweifel hätte es auch gereicht, wenn Gott ein paar Tropfen Blut weniger vergossen hätte.»

Text: Stefan Degen | Fotos: Pixabay / Wikimedia – Kirchenbote SG, April 2022

 

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