Glaub ans «Christkindli» – es lohnt sich!
In wenigen Tagen beginnt für Sepp die Rekrutenschule. Seine Eltern rufen ihn zum Mittagskaffee und die Mutter meint: «Seppli, bevor du gehst, wollen wir dich aufklären.» Sepp: «Hä?» Vater: «Der Pullover, den du auf Weihnachten erhalten hast, weisst du, der ist nicht vom Christkindli, sondern den hat dir dein Mami gestrickt.»
NatĂĽrlich entspricht diese Geschichte nicht den literarischen AnsprĂĽchen unserer Leserschaft. Vom Christkind emanzipierten wir uns spätestens zu Beginn der Primarschule. Dieses wurde ĂĽbrigens einst von Luther erfunden, um den Kult rings um Sankt Nikolaus zu durchbrechen.Â
Dem Wundersamen Raum geben
Doch die Geschichte spricht auch Wahres an. Trotz allem Wenn und Aber sind überraschend viele Erwachsene bereit, an Weihnachten dem Wundersamen Raum zu geben. In dieser Zeit ist es legitim, dass sich auch skeptische Durchschnittsmenschen auf Träume einlassen. In früheren Zeiten war da zum Beispiel die Vorstellung, in der Heiligen Nacht könnten die Tiere sprechen wie Menschen – und jene mit einer reinen Seele verstehen sie dabei. Heute ist es die Sehnsucht nach einer harmonischen Welt ohne Ungerechtigkeit und Zerstörung. Was allerdings so lange beim Träumen bleibt, als wir das Wesentliche ausklammern: die eigene Hingabe an diese Sehnsucht. Gemeint ist, auch wenn es sehr altmodisch tönt: So wie sich Gott selber hingab in seiner Sehnsucht nach uns Menschen. Damals machten es ihm zwei Menschen nach: Maria sowie – tja, und jetzt kommen Träume mit ins Spiel.
Ein happiger Albtraum
Zuerst ein happiger Albtraum im Wachzustand. Josef von Nazareth erfährt von seiner Verlobten Maria: «Ich bin schwanger.» Natürlich nicht von ihm, denn als ehrenhafter Bürger hielt er sich sexuell zurück, und von der Hochzeitsnacht träumte er bestenfalls. Was jetzt? Marias Erklärung, dass ein Engel und der Heilige Geist die Verantwortung trügen … Wer glaubt denn so etwas?
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Wir selber werden «Christkinder», und zwar solche, an die man getrost glauben darf.
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Die Fortsetzung ist bekannt: Ein Engel erscheint ihm im Traum und bestätigt das Unglaubhafte. Josef lässt seine persönliche Vorstellung vom FamilienglĂĽck los, gibt seine privaten Pläne hin. Weihnachten wird möglich durch diese Hingabe und findet in weiteren Träumen ihre Fortsetzung. Als König Herodes das Kind töten lassen will, da erscheint der Engel wieder und veranlasst die Familie zur Flucht. Und als später die Gefahr vorĂĽber ist, da gibt er – im Traum – grĂĽnes Licht fĂĽr die Heimkehr.Â
Träume sind in der Bibel selten
Träume kommen in der Heiligen Schrift selten vor, sind aber an zwei Stellen massgebend beteiligt an der Geschichte Gottes mit den Menschen. Der alttestamentliche Josef gelangte über seine Träume nach Ägypten und machte dort Karriere. So wurde er zum Wegbereiter der Befreiungsgeschichte Israels durch Mose. Der neutestamentliche Josef fand auch über Träume zu seiner Aufgabe. Dank ihm erlebte Jesus vermutlich eine ziemlich störungsfreie Kindheit und konnte so sein Potenzial entfalten. Ohne diese Träumereien gäbe es das Volk Israel nicht und gäbe es Jesus nicht. Oder beides ganz anders, als wie es dann kam. Leider schweigen sich auch hochkarätige Bibelkommentare zur Frage aus, weshalb Josef den Engel nur träumt. Ansonsten erscheinen diese den Menschen nämlich direkt. Doch müssen wir das wirklich wissen? Das intellektuelle Ausschlachten vom Wundersamen spricht nicht immer von Intelligenz.
Wir selber werden «Christkinder»
Jedenfalls: Nicht alle Träume sind Schäume. Es ist nicht falsch, wenn Christen sich den Weihnachts-Träumereien hingeben, der Sehnsucht nach einer heilen Welt. Falsch ist vielmehr, wenn sie dies nur an Weihnachten zulassen. Das Weihnachtsgeschehen fordert im Gegenteil auf, die Hingabe zu konkretisieren. So können Christen ihre Vorstellung loslassen, wie ein perfektes Leben aussehen sollte. Sie geben Pläne, Privilegien und Prinzipien auf, wenn dies nötig wird. Wie Josef. Vielleicht ist es ja gerade in der aktuellen Corona-Zeit nötig. Auf diese Weise wandeln sich Träume in Realitäten. Wir selber werden «Christkinder», und zwar solche, an die man getrost glauben darf.
Text | Foto: Rolf Kühni, Pfarrer, Sargans – Kirchenbote SG, Dezember 2020
Glaub ans «Christkindli» – es lohnt sich!