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Reliquien: zwischen Verehrung und Talisman

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09.02.2022
Eine Reliquienausstellung in der Lukaskirche macht den Auftakt zu einer Veranstaltungsreihe «500 Jahre Reformation in Luzern».

Wenn Urs-Beat Frei einen Vortrag über Reliquien (lat. reliquiae, «Zurückgelassenes», «Überbleibsel») hält, dann scheint es, als hauche er toten Objekten Leben ein. Er bringt eine Welt näher, die sonst so fremd wirkt, gerade aus protestantischer Sichtweise. Diesen März zeichnet der katholische Theologe, Kunsthistoriker und Konservator des Stiftsschatzes in der Luzerner Hofkirche verantwortlich für eine kleine Ausstellung von Reliquien im Vorraum der Lukaskirche und kommentiert die Exponate ausführlich in drei Gesprächsrunden.

Holz vom Kreuz Christi
Die Ausstellung gehöret zu einer Veranstaltungsreihe der Teilkirchgemeinde Stadt Luzern, die sich dem Thema «500 Jahre Reformation in Luzern» widmet. Bekanntlich war die Verehrung von Reliquien einer der Kritikpunkte der Reformation. Zu sehen sein werden ungefähr 20 Reliquiare, also Behältnisse mit Reliquien, wobei die meisten aus dem 17. und 18. Jahrhundert stammen. Als Besonderheit befindet sich darunter auch eine Replik der Zunge des heiligen Johannes von Nepomuk (um 1350–1393). Der Legende nach wurde dieser vom König in Prag umgebracht, da er nicht verraten wollte, was ihm die Königin gebeichtet hatte. Als man über 300 Jahre danach sein Grab öffnete, fiel auf, dass seine Zunge nicht verwest war. Dies wurde als Zeichen angesehen. Nepomuk, der nicht sprach und das Beichtgeheimnis bis zu seinem Tode bewahrte, wurde heiliggesprochen. Daraufhin hat man seine Zunge in Wachs vielfach repliziert und kostbar gefasst. Ein weiteres Highlight der Ausstellung sind Holzpartikel vom (angeblichen) Kreuz, an das Christus geschlagen wurde. Ein bischöfliches Echtheitszertifikat aus dem 18. Jahrhundert will diese Herkunft belegen. Der Legende nach hatte die heilige Helena im 4. Jahrhundert das wahre Kreuz in Jerusalem gefunden. Daraufhin wurden Partikel desselben zunächst vor allem an wichtige Kirchen und Klöster verteilt, später kamen solche zahlreich in Umlauf.

Kunstvoll gefertigt
«Heutige Menschen mögen es seltsam empfinden, Reliquien – meistens sind das Knochenteile – anzuschauen», sagt Urs-Beat Frei. «Dabei sind die meisten aussergewöhnlich schön ‹gefasst›, sie wurden zum Teil von Goldschmieden, aber auch sehr oft in Klöstern kunstvoll verarbeitet.» Die irdischen Überreste von Heiligen sollten würdevoll aufbewahrt und vorgezeigt werden. «Diese Tätigkeit hatte in den Klöstern einen stark meditativen Charakter, ähnlich, wie wenn Buddhisten Mandalas herstellen oder Orthodoxe ihre Ikonen malen», ergänzt Urs-Beat Frei. Viele Reliquien, wie etwa die Nepomuk-Zunge, sind Berührungsreliquien, was bedeutet, sie wurden am Original berührt. Über Jahrhunderte ging man davon aus, dass sich die Kraft des Heiligen durch Berührung überträgt. Gewisse Reliquien trug man auch auf sich, in der Innerschweiz etwa in kleinen gedrechselten Dosen im Hosensack, und glaubte, dadurch beschützt zu sein. «Ein Grenzbereich, wo Glaube in Aberglauben kippen kann», so Urs-Beat Frei.

Moderne Reliquien
Im Mittelalter mündete die starke Heiligenverehrung fast in Vielgötterei. Dagegen stemmte sich die Reformation. Luther, Calvin und Zwingli lehnten die Heiligenverehrung ab. Und überraschend schlägt Urs-Beat Frei einen Bogen in die Gegenwart und fragt: «Was ist das teuer bezahlte Trikot eines Fussballstars oder das Accessoire eines Musikidols anderes als eine Art säkularisierter Reliquie?» Gewiss lässt sich darüber an der Ausstellung im kleinen Kreis angeregt diskutieren.

Carmen Schirm-Gasser

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