Der lange Weg Max Bretschers zum Traumjob
Der Glockendoktor aus Krinau
Als er sich für einen Beruf entscheiden musste, standen drei Optionen offen: Bauer, Förster oder Elektroniker. Sein Vater riet ihm zu Letzterem die andern Berufe könne er auch später noch erlernen. Heute, mit 55, ist Max Bretscher dankbar für den Rat seines Vaters. Als gelernter Elektroingenieur kann er im jetzigen Beruf, in dem er Uhrenanlagen und Glockenantriebe in Kirchen wartet, viele Tätigkeiten dieser Berufsrichtungen vereinigen. Er kann selbstständig Verantwortung übernehmen wie ein Bauer, er muss heftig anpacken und ist Kälte und Winden ausgesetzt wie ein Förster und er kann die von ihm bewunderte Mechanik der Turmuhren und der Geläute mit modernster Elektronik verbinden, wenn er die Läutcomputer mit der aktuellen Läutordnung programmiert oder einen Elektroantrieb der Glocke reparieren muss da kommt der Elektroniker zum Zug.
Einem Mesmer geholfen
Doch seinen heutigen «Traumjob», den man nicht erlernen kann, fand er über Umwege. Die Anforderungen, die an einen «Glockendoktor» gestellt werden, musste er sich Schritt für Schritt erwerben. Die Wegrichtung hat sich aber früh abgezeichnet. Schon als 13-Jähriger habe er dem damals über 75-jährigen Mesmer geholfen, wenn es darum ging, irgendwo hinaufzuklettern oder eine Apparatur zu reparieren. Als Bauernsohn lernt man halt so manches nebenbei, sagt Max Bretscher.
Nach seiner Lehre als Elektroniker, wo er mit der Steuerung von Textilmaschinen zu tun hatte, blieb er bis zum 22. Lebensjahr bei Heberlein in Wattwil. Neben vielem anderen pflegte er auch sein Hobby, die Fliegerei. Denn schon mit 16 hatte er sich zur «Fliegerischen Vorschulung» in Dübendorf gemeldet. Der Traum vom Fliegen zerbrach aber jäh, als er auf einem Übungsflug den Rhein mit der Thur verwechselte und munter durch ausländischen Flugraum sauste bei dem grossen Andrang reichte ein kleiner Fehler, um aus dieser Ausbildung auszuscheiden.
Von den Glocken gerufen
Max Bretscher aber blieb in Dübendorf, wo er als Instruktor während fünf Jahren Rekruten im Bereich der elektronischen Fernaufklärung unterrichtete es war die Zeit des Kalten Kriegs. So sehr ihm dies gefiel, so wollte er doch nicht in diesem Beruf alt werden. Öfters traf er Rekruten mit höherer Fachausbildung und merkte: «Was die können, das kann ich auch.» Kurz entschlossen immatrikulierte sich der 27-Jährige am NTB in Buchs für eine dreijährige Ausbildung ein mutiger Schritt, war er doch inzwischen verheiratet und hatte auch zwei Töchter mitzuernähren.
Er arbeitete dann für eine Firma, die elektronische Systeme für den öffentlichen Nahverkehr herstellt, doch die Arbeit war ihm zu anonym. In dieser Zeit zog es ihn zurück in seine Heimat, nach Krinau in sein Elternhaus. Zwölf Jahre später, 1997, ergab sich die Möglichkeit, für die Firma Muri Glocken- und Uhrenanlagen zu warten für Max Bretscher ein Traumjob.
Text und Foto: Andreas Schwendender – Kirchenbote SG, Februar 2011
Exkursion auf den Glockenturm
Von der Empore der evangelischen Kirche in Berneck steigen wir eine Treppe hinauf und kommen in den ersten Stock des Turms, in dessen Mitte eine mechanische Uhr aus dem Jahr 1952 steht. Max Bretscher öffnet den Kasten, der das Meisterwerk der Mechanik vor Staub schützt, und beginnt zu schwärmen: «So eine Uhr strahlt Leben aus, sie tickt seit Jahrzehnten Sekunde für Sekunde.» Die Genauigkeit der Uhr, so führt er aus, kommt vom Pendel, das durch seine Länge den Rhythmus angibt. Mit einer Schraube könne man das Gewicht verschieben, um die Uhr genauer zu machen. Rein mechanisch ist auch die Verbindung zum Schlagwerk, das den Viertelstunden- und Stundenschlag auslöst. Wir sehen, wie die Räder sich drehen, bevor die Uhr halb elf schlägt. Über Drähte werden die Schlaghämmer der drei Glocken angehoben, welche mit ihrem charakteristischen Bim-Bam-Bum die Zeit verkünden. In früheren Zeiten, so erzählt der Experte, wurde der Stundenschlag oft wiederholt, damit die Leute, die den Anfang verpasst hatten, beim zweiten Mal aufmerksam lauschen konnten denn das Zifferblatt war nicht von überall her erkennbar. Dann steigen wir einen Stock höher und kommen in die geräumige Glockenstube, wo zwei Glocken zur Linken, zwei zur Rechten und die grösste in der Mitte hängen. Max Bretscher lässt sie kurz läuten und hört sogleich, dass eine Feder des Antriebsrades angezogen werden muss. Mit Werkzeugen klettert er auf dem Stahlgerüst herum, das die Glocken trägt, und beantwortet nebenbei auch mal den Handyanruf eines besorgten Mesmers. Heute würde man die Glockenstühle eher wieder aus Holz bauen wie früher, sagt er, «damit sich die Schwingungen der Glocken weniger auf das Gebäude übertragen». Viel zu erzählen weiss er auch über das Verhältnis von Glocke und Klöppel. Sie schwingen unterschiedlich schnell, aber so, dass der Klöppel die Glocke genau an ihrem Wendepunkt anschlägt. Man hätte diese Gesetze an der ETH zu berechnen versucht, sei aber gescheitert. Alles Rechnen beruhe auf Modellen, bei der Glockenkunst aber zählen daneben noch immer die menschliche Beobachtung und die Erfahrung.
Text: Andreas Schwendener