News aus dem Thurgau

Behördenarbeit: Chance oder Herausforderung?

von Ernst Ritzi
min
19.01.2024
Die Mitarbeit in einer Kirchenvorsteherschaft ist wohl wie die meisten Aufgaben beides: Chance und Herausforderung zugleich. Eine Kirchenvorsteherschaftspräsidentin und ein kirchlicher Organisations- und Konfliktberater zeichnen ihr persönliches Bild.

In den Monaten März und April stehen in den Thurgauer Kirchgemeinden die Erneuerungswahlen für die neue Amtsdauer 2024 bis 2028 an. Die neue Amtszeit beginnt am 1. Juni 2024.

Mit dem Leitsatz «Gemeinsam gestalten, glauben und vorangehen» hat die Landeskirche den Werbeflyer für eine Mitarbeit in der Kirchenvorsteherschaft betitelt. Die Mitarbeit in der Kirchenvorsteherschaft wird als «spannendes Entwicklungsfeld » gepriesen. In der ansprechend gestalteten Broschüre werden Eigenschaften genannt, die in der kirchlichen Behördenarbeit besonders gefragt sind: «Sie suchen eine sinnvolle und erfüllende Aufgabe neben Ihrem beruflichen Umfeld. Sie sind eine Person, die gerne anpackt und Verantwortung trägt. Sie wollen, dass sich die evangelische Landeskirche zukunftsfähig positioniert und entwickelt. Sie haben Führungs- beziehungsweise Projektleitungserfahrung oder wollen neu in eine Verantwortung hineinwachsen.»

 


Die fünf Behördenmitglieder, die im Werbeflyer zu Wort kommen, empfinden es als bereichernd, dass sie in einer Kollegialbehörde gemeinsam unterwegs sind. Es stört sie auch nicht, dass kirchliche Behördenarbeit nicht voll besoldet ist. Zu den Herausforderungen der aktuellen kirchlichen Arbeit zählen neben organisatorischen und zwischenmenschlichen Fragen auch gesellschaftliche Megatrends wie der Verlust der traditionellen kirchlichen Bindung, Kirchenaustritte und der drohende Mangel an ausgebildeten Pfarrerinnen und Pfarrern. Und trotzdem gilt wohl: Herausforderungen und Probleme sind immer auch Chancen.

Die Redaktion des Kirchenboten hat eine erfahrene Kirchenvorsteherschaftspräsidentin und einen bewährten Berater von Kirchgemeinden gefragt, wo sie die Chancen und Herausforderungen in der aktuellen Arbeit der kirchlichen Gemeindebehörden sehen.

 

Das meinen Susanne Dschulnigg und Daniel Frischknecht:

 

Führen in einer Kollegialbehörde

Susanne Dschulnigg, Präsidentin Kirchenvorsteherschaft Kreuzlingen

«Im Gegensatz zum Bundesrat, der auch als Kollegialbehörde funktionieren soll, gibt es in einer Kirchenvorsteherschaft einen Präsidenten oder eine Präsidentin, die eine ganze Legislatur bestreitet. Das Präsidium vertritt die Kirche nach innen und aussen: Läuft etwas schief, wird zuerst mal beim Präsidium angeklopft, läuft etwas gut, werden auch die Lorbeeren dort verteilt.

Mein Büro ist im Kirchgemeindehaus und ich habe klare Präsenzzeiten. Die Vielfalt der Aufgaben ist für mich das Faszinierende. Ich führe eben keine reine Verwaltung, auch wenn dieser Bereich wichtig ist. Ich setze mich intensiv mit der Entkirchlichung auseinander. Spannende Fortbildungen erweitern meinen Horizont, zeigen auf, was in anderen Kantonen läuft, wie die Gesellschaft Kirche wahrnimmt, was Menschen heute für spirituelle Bedürfnisse haben und wie wir darauf reagieren. Dass sich eine Behörde aus theologischem/ diakonischem Team und dem kirchenpolitischen ‹Verwaltungsteam› zusammensetzt und einen gemeinsamen Weg geht, ist wohl die grösste Herausforderung.

Nachdem ich mich vorzeitig aus meinem Berufsleben als Lehrerin zurückgezogen habe, war der Einstieg in die dritte Lebensphase mit einer Führungsaufgabe geradezu ideal. Neues wagen, sich informieren, mit anderen Lösungen suchen, Menschen in ihren Aufgaben begleiten und vor allem Neues zulassen, das Feld für Experimente öffnen, das hat meine Jahre als Kirchenvorsteherschaftsmitglied beziehungsweise Präsidentin zu meinen reichsten gemacht.»

Aktiv mitgestalten - eine tolle Chance

Daniel Frischknecht, Coach und Berater, Bischofszell

«Behördentätigkeit ist eine einzigartige Chance, die eigenen Werte und Kompetenzen zum Wohl einer Organisation zur Verfügung zu stellen. Die Kirchgemeinde ist eine vielfältige und lebendige Organisation mit Entwicklungsmöglichkeiten in vielen Bereichen. Es bietet sich die Gelegenheit, neue Felder zu bewirtschaften und mit verschiedenen Menschen zusammenzuarbeiten.

Ein Engagement in der Behörde macht Spass und das Miteinander bereichert das eigene Leben. Die gemeinsame Arbeit kann mich auch persönlich und beruflich weiterbringen. Auf den Punkt gebracht, bietet das Amt die Chance, in einem Team die Kirchgemeinde inhaltlich und organisatorisch zu leiten, sich dabei selbst zu entwickeln, Führungskompetenzen zu erlangen, andere zu fördern und gefördert zu werden, Netzwerke zu pflegen und neue Themenfelder zu entdecken.

Es soll aber nicht verschwiegen werden, dass einen neben den vielen positiven Möglichkeiten auch Herausforderungen erwarten. Einerseits muss man sich auf Konflikte vorbereiten und gewillt sein, diese lösen zu wollen – sei dies nun innerhalb der Behörde, mit Mitarbeitenden oder mit fordernden Kirchbürgerinnen und Kirchbürgern. Auch gilt es zu bedenken, dass Prozesse von einer Idee bis zur Umsetzung auch langwierig und nervenraubend sein können.

Und trotzdem begeistere und ermutige ich als freischaffender Berater dazu, sich für den Glauben, die Welt und die Gesellschaft als Behördenmitglied zur Verfügung zu stellen.»

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