News aus dem Thurgau

Dem Tag entgegen beten

von Jens Liedtke
min
27.12.2025
«Warum treffen sich Menschen um sieben Uhr morgens, um miteinander zu beten?» Kathrin muss bei der Frage schmunzeln. Sie ist seit dem Beginn der ökumenischen Gebetsgruppe in Matzingen vor über 45 Jahren mit dabei und wurde immer wieder nach dem Sinn dieser besonderen Anfangsuhrzeit gefragt.

«Das war nicht immer so! Als wir mit unserem Gebetskreis begonnen haben, da trafen wir uns am Abend», erinnert sich Kathrin. «Damals hatten viele von uns schulpflichtige Kinder und da ging es nur abends. Mit den Jahren sind die Kinder dann selbständig geworden, und wir begannen uns morgens vor der Arbeit zu treffen.»

«In die Fülle des Tages starten»

Inzwischen sind die meisten der Beterinnen und Beter im Pensionsalter, die frühe Uhrzeit ist geblieben. Katharina, eine von etwa zehn regelmässig Teilnehmenden und ebenso wie Kathrin schon lange mit dabei, erklärt den Grund dafür: «Natürlich könnten wir später beginnen, aber wir beten dem Tag entgegen, und es ist schön, dass wir gemeinsam in die Fülle des Tages starten können.»

Nicht nur die Uhrzeit hat sich über die Jahre geändert. Die Themen, die im Gebet bedacht werden, sind auch anders geworden. Die Gruppe in Matzingen hatte sich Ende der Achtziger Jahre im Nachgang zur ersten Europäischen Ökumenischen Versammlung gegründet. Diese fand seinerzeit in Basel unter dem Motto «Frieden in Gerechtigkeit» statt und legte einen Schwerpunkt auf Themen rund um Frieden, Gerechtigkeit und Bewahrung der Schöpfung.

Schöpfung und Frieden als Fokus

Anfangs betete die Gruppe vor allem für einen verantwortungsvollen Umgang mit Gottes Schöpfung. In den letzten Jahren hat sich der Fokus verschoben. Das Thema Frieden ist seit dem Beginn des Ukrainekrieges sehr prominent geworden, und auch das stille, persönliche Gebet der Teilnehmenden hat einen grösseren Stellenwert bekommen.

Innerlich aufgeräumt nach Hause

Die monatlichen Treffen dauern jeweils etwa eine halbe Stunde und finden abwechselnd in der katholischen und der evangelischen Kirche statt. Sie werden immer von jemand anderem aus der Gruppe vorbereitet. Wer vorbereitet, kann über Form und Inhalt bestimmen. Die wechselnde Verantwortlichkeit sorgt dafür, dass niemand mit den eigenen persönlichen Themen und Anliegen zu dominant wird. Das gemeinsame Gebet am Morgen ist den Teilnehmenden sehr wertvoll.

Katharina fasst es so zusammen: «Ich gehe jedes Mal innerlich aufgeräumt nach Hause. Ich finde das herrlich!» Wie wird es im neuen Jahr mit der Gruppe weitergehen? Kathrin hat zwei Wünsche: Zum einen hofft sie, dass der treue Stamm der Beterinnen und Beter erhalten bleibt, und sie wünscht sich, dass der Beginn der Treffen auf halb Acht verschoben wird. Mit einer späteren Uhrzeit verbindet sie die Hoffnung, dass die Gruppe vielleicht sogar ein paar neue Mitglieder gewinnen kann.

 

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