News aus dem Thurgau

Digitales Fasten im Kloster

3 min
30.06.2022
Aussteigen, auftanken und zur Ruhe kommen: Klöster bieten die RĂŒckzugsmöglichkeit vom stressigen Alltag. Inzwischen auch fĂŒr Handy-, Computer- und InternetmĂŒde.

Ben Suter* griff in seine Hosentasche, doch da war es nicht, sein Handy. FĂŒr den 29-JĂ€hrigen war dies aussergewöhnlich. Es fehlte ihm etwas, gleichzeitig fĂŒhlte er sich freier und unabhĂ€ngiger. Und diese Freiheit wollte er nutzen fĂŒr lange SpaziergĂ€nge und zum Lesen.

Zwei Tage zuvor war Suter ins Kloster Einsiedeln eingetreten. Eine Woche lang lebte der Banker mit den Benediktinern zusammen, nahm an den Gebetszeiten teil und schwieg mit ihnen wÀhrend der Mahlzeiten. Ben Suter wollte nicht nur das Klosterleben kennen lernen, er wollte eine Woche lang auf alle elektronischen Medien verzichten. Leben ohne Handy und Computer, quasi digital fasten hinter den Klostermauern, witzelt er.

Er sei kein digitaler Junkie, erklĂ€rt Suter. Aber von Berufs wegen arbeitet er den ganzen Tag lang am PC. Auf seinem Bildschirm lĂ€uft ein Newsticker mit fĂŒnf Agenturmeldungen pro Minute. Permanent muss er aufpassen, nichts zu verpassen. Das bringe eine unglaubliche Hektik in den Alltag, sagt er. Er habe sich aus diesem Kreislauf herausnehmen wollen, habe entschleunigen und so unbeschwert leben wollen wie einst als Kind, erzĂ€hlt er.

RĂŒckzug ins Kloster
Immer mehr Klöster in der Schweiz öffnen ihre Pforten. Die meisten Ordensgemeinschaften sind bereit, ihren GĂ€sten einen lĂ€ngeren Aufenthalt zu ermöglichen. Um Abstand vom Alltag zu bekommen, sich zu besinnen, neu auszurichten oder aus der Hektik des Arbeitslebens auszubrechen. Seit dreissig Jahren existiere dieses Angebot bei ihnen, erklĂ€rt Bruder Norbert vom Kloster Rapperswil. FĂŒr ein bis zwei Wochen kann man hier hinter den Klostermauern in der Gemeinschaft mit den BrĂŒdern leben. Einzelne kĂ€men jedoch, um bewusst auf das Handy und den PC zu verzichten. Sie nĂŒtzen den Klosteraufenthalt, um den digitalen Stecker zu ziehen.

Auch das Kloster Disentis bietet «Kloster auf Zeit» an, in der die GĂ€ste mit den Mönchen zusammenleben. In der Klausur leben die BrĂŒder ohne Handy und Computer. «WLAN gibt es nicht», erklĂ€rt Bruder Michael. Das wird von den GĂ€sten geschĂ€tzt. Viele erlebten hier, wie ihnen der Ausstieg aus den digitalen Medien gut tut. «Die permanenten Nachrichten können einen deprimieren und runterziehen», so Bruder Michael.

Digitalen Ausstieg organisieren
Der digitale Ausstieg sollte gut organisiert sein, rĂ€t Ben Suter. Er ersetzte im Whatsapp den Status und Ă€nderte sein Profilbild. In der Bank erklĂ€rte er, dass man ihn nicht anrufen könne, fĂŒr NotfĂ€lle hinterliess er die Nummer des Klostersekretariats. Suters Umfeld reagierte auf seinen Ausstieg zunĂ€chst mit UnverstĂ€ndnis, viele glaubten nicht, dass «er dies durchziehen könne». SpĂ€ter war das Feedback positiv, sie fanden es «cool». Im Kloster merkte Ben Suter, dass er keine News braucht und wie viel Zeit er zur VerfĂŒgung hat ohne die digitalen Medien. Er las viel, unternahm lange SpaziergĂ€nge und fand die Musse, seinen Gedanken nachzuhĂ€ngen. Mit der Zeit entdeckte er die Lust am Laufen.

Seit seinem Aufenthalt im Kloster trÀgt Ben Suter wieder eine Uhr am Arm. So muss er nicht zum Handy greifen, wenn er wissen will, wie spÀt es ist. Und wenn er sich auf eine Aufgabe konzentriert, dann legt er sein Handy zur Seite. Suter ist dann mal digital weg.

Tilmann Zuber, kirchenbote-online

* Der Name ist der Redaktion bekannt.

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