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«Finn steht für die kleinen Wunder im Alltag»

von Roman Salzmann
min
28.11.2025
Weihnachten wird von vielen Unternehmen zu Werbezwecken genutzt. So wirbt die Migros zum Beispiel seit 2017 mit dem Weihnachtswichtel Finn. Welche Idee dahintersteckt und weshalb Besinnlichkeit «out» ist, erklärt Werber Jan Kempter.

Herr Kempter, wie werden die unterschiedlichen Weihnachtstraditionen (Geburt von Jesus, Krippe, Weihnachtsstern, usw.) so transformiert, dass sie Konsumanreize setzen oder die Werbewirkung der Kampagne zu Weihnachten eines Unternehmens erhöhen?
Weihnachten bietet eine emotionale Grundstimmung, die viele Menschen verbindet – unabhängig davon, ob sie religiös feiern oder nicht. Es geht in der Werbung weniger darum, religiöse Traditionen zu «vermarkten», sondern vielmehr darum, das Gefühl von Gemeinschaft zu inszenieren, das diese Zeit ausmacht: Miteinander feiern, Zeit mit den Liebsten verbringen, jemandem eine Freude machen. Wenn das glaubwürdig gelingt, entsteht auch Wirkung, weil Menschen sich wiederfinden.

Wie kam es zu der Idee, einen Wichtel als Identifikationsfigur für die Weihnachtskampagne zu entwickeln?
Am Anfang stand nicht die Idee eines Wichtels, sondern eine einfache, fast kindliche Frage: Was passiert eigentlich in so einer Scannerbox an der Kasse? Und wenn dort jemand wohnen würde – was würde der wohl an Weihnachten tun? Weiss der überhaupt, was das ist? Diese Gedanken haben uns zu Finn geführt, einem Wichtel, der uns daran erinnert, worum es an Weihnachten wirklich geht.

War schon im Jahr 2017 klar, dass es eine Fortsetzung der magischen Figur in den Scanner-Kassen geben soll?
Ursprünglich war Finn als einmalige Geschichte gedacht. Aber nach der enormen Resonanz, die der kleine Wichtel ausgelöst hat – mit unzähligen Reaktionen, Fanpost, sogar selbstgebastelte Finns – war ziemlich schnell klar, dass die Menschen sich über ein Wiedersehen freuen würden und man zumindest ernsthaft über eine Fortsetzung nachdenken sollte. 

Warum hat sich Migros auf ganz verschiedene Weihnachtsclips-Experimente eingelassen und zunächst von Finn verabschiedet?
Wir Werber haben ja stets diesen Drang, etwas Neues auszuprobieren. Wir wollten neue kreative Richtungen austesten, in der Annahme, dass die Schweiz langsam genug von dem herzigen Wichtel hat. Da haben wir uns aber schwer getäuscht, denn die Reaktionen waren bei allen Kampagnen gleich: «Wo ist Finn?», «Wann kommt Finn wieder?» «Bringt endlich FINN zurück!». Im 2023 haben wir den Wichtelfans dann endlich ihren Herzenswunsch erfüllt und Finn zurückgebracht.

 

Besinnung hat eine enorme Schönheit, aber es entspricht nicht mehr dem emotionalen Zugang vieler Menschen heute. Besinnlichkeit fällt schwer in einer Welt voller Ablenkung – Social Media, Tempo, dauernde Reize.

 

Mit welcher Weihnachtsbotschaft laden Sie diese Figur auf? Also welchen «Mehrwert» soll Finn und damit Migros verkörpern?
Finn steht für das Staunen – für die kleinen Wunder im Alltag. Er erinnert uns daran, dass Weihnachten nicht im Konsum liegt, sondern in Momenten von Nähe, Aufmerksamkeit und Mitgefühl. Das mag vielleicht paradox erscheinen – schliesslich ist Finn Teil einer Werbung. Aber gerade weil der kleine Wichtel nicht versucht, direkt etwas zu verkaufen, berührt er die Menschen. Und genau dadurch entfaltet er seine Wirkung.

Wie können die Kirchen aus Ihrer Sicht ihr «Produkt» Weihnachten ihren «Kunden» zeitgemässer vermitteln?
Die Kirche feiert Weihnachten traditionell als Zeit der Besinnung und Stille. Gerade die reformierte Tradition, geprägt durch Zwinglis nüchternen Zugang, hat diese Haltung besonders stark verankert. Die katholische Kirche ist im Vergleich oft etwas festlicher, sinnlicher, gemeinschaftsorientierter. Doch unabhängig von der Konfession gilt: Besinnung hat eine enorme Schönheit, aber es entspricht nicht mehr dem emotionalen Zugang vieler Menschen heute. Besinnlichkeit fällt schwer in einer Welt voller Ablenkung – Social Media, Tempo, dauernde Reize.

Besinnlichkeit ist quasi «out». Was ist in Ihren Augen «in»?
Weihnachten wird ausserhalb der Kirche längst über andere Gefühle erzählt: Freude, Nähe, Beisammensein, gemeinsames Lachen, manchmal auch gemeinsames Traurigsein. Es geht um ein Zuhause-Gefühl. Vielleicht liegt genau dort ein Schlüssel für die Kirchen: sich weniger als Ort der Einkehr und Ruhe zu verstehen und stärker als Ort des Miteinanders - unabhängig davon, wie viel Reflexion man gerade selbst mitbringt. Gospel-Kirchen leben dieses Gefühl seit jeher: Gemeinschaft, Zusammenhalt, füreinander da sein. Das ist für alle verständlich. Die stärkste Weihnachtsbotschaft ist letztlich die universelle Liebe – nicht romantisch, nicht moralisch, sondern menschlich. Wenn Kirchen diese Wärme spürbar machen, wird Weihnachten wieder nahbar. Dafür braucht es manchmal ganz einfache Brücken: Rituale wie Wichteln, gemeinsames Singen, geteilte Momente, die Fremde in Vertraute verwandeln. Die Kirche müsste also Weihnachten nicht «neu erfinden», sondern nur anders erzählen: weniger als Prüfung der eigenen Innenschau, mehr als Einladung. Als Haus der Liebe statt nur Haus Gottes. Ein Ort, an dem Zusammenhalt, Trost und Freude nicht nur gepredigt, sondern erlebbar werden.

Deshalb wird dieses Jahr Finn und sein Papa, die Familie, in den Vordergrund gestellt?
Nach der Liebesgeschichte im letzten Jahr landeten wir gedanklich schnell beim Thema Nachwuchs. Und beim Nachdenken darüber, ob Finn wohl ein guter Papa wäre, entstand die Idee, das «Weitergeben» ins Zentrum zu stellen – von Werten, Liebe und Traditionen. Daraus wurde die Geschichte zwischen Finn und seinem Vater, die zeigt, wie sich Weihnachtszauber über Generationen fortsetzt. Das fühlte sich wie eine würdige Geschichte für das Jubiläumsjahr an: Migros blickt auf hundert Jahre zurück – und wir auf Finns bisheriges Leben.

 

Zur Person

Jan Kempter ist Creative Director und Partner der Wirz Group. Die Kreativagentur hat den Weihnachtswichtel Finn im Auftrag der Migros erfunden.

 

 

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