«Ich kann den Schmerz nicht nehmen, aber Trittsteine setzen»
Wenn ein Kind oder ein Elternteil schwer erkrankt oder stirbt, steht die Welt der Familie still. In diesen Momenten braucht es Menschen, die nicht nur fachlich versiert sind, sondern auch zuhören, aushalten und begleiten können. Daniela Spitz ist eine solche Person. Die diplomierte Fachfrau für Kinderkrankenpflege arbeitet auf der Neonatologie im Spital Winterthur, bei der Kinderspitex – und als Familientrauerbegleiterin.
Sie weiss, wie wertvoll es ist, wenn medizinisches Fachpersonal, Psychologinnen, Seelsorgende und Trauerbegleiterinnen gut vernetzt sind. «Familientrauerbegleitung ist Teamarbeit», betont sie. «Ich wünsche jeder Familie die Begleitperson, die am besten zu ihr passt.»
Der Weg zu dieser Aufgabe führte über viele Stationen: Ursprünglich zur Kinderkrankenschwester ausgebildet, sammelte sie Erfahrung in der Neonatologie im Kinderspital Zürich und war dort auch Teil des Care-Teams. Nach einer Familienzeit arbeitete sie in der Kinderspitex, der sie nun seit 20 Jahren angehört, und in der Kinderarztpraxis. Seit drei Jahren arbeitet sie auf der Neonatologie am Kantonsspital Winterthur. Die Begegnung mit sterbenden Kindern und ihren Familien hat sie über die Jahre geprägt.
Trauer ist nicht krank
Früher endete ihr Einsatz in der palliativen Kinderspitex mit dem Tod des Kindes. «Das hat mich beschäftigt. Ich war zuvor täglich bei den Familien, und dann sollte der Kontakt abrupt enden. Ich habe gespürt, wie wertvoll es ist, auch danach an ihrer Seite zu bleiben.» Deswegen absolvierte sie die Ausbildung zur Familientrauerbegleiterin in Luzern.
Spitz betont, dass pathologische oder traumatische Trauer in die Hände von Psychologinnen oder Psychiaterinnen gehört. «Aber in ihrer gesunden, natürlichen Ausdrucksweise braucht Trauer keine Therapie – sondern Menschen mit vertieftem Wissen, die nah an der Familie sind.»
Trauer kann sich bodenlos anfühlen. «Es ist zum Beispiel ganz normal, dass jemand nicht duschen und nicht essen mag, zittert und nur schreien möchte.» Als Trauerbegleiterin gewinnt sie Einblick in den Alltag einer Familie und hilft, Ressourcen zu erkennen. «Vielleicht gibt es eine Gotte, einen Götti oder andere Menschen, die für die Kinder in dieser Zeit wichtige Bezugspersonen sein können.» Daniela Spitz hört zu, normalisiert und sucht mit den Angehörigen nach Halt gebenden Ritualen – oft schon vor dem Tod. «Dann können noch wertvolle Erinnerungen geschaffen werden. Und vielleicht hat ein Familienmitglied noch einen konkreten Wunsch, den man zusammen erfüllen kann.»

Daniela Spitz: Viele Stationen im Leben führten zur Familientrauerbegleitung.
Viele verfügen über gute Ressourcen, die sie im Moment nicht sehen.
Kinder trauern anders
Besonders am Herzen liegt ihr, Kinder nicht aus der Realität auszuschliessen. «Oft wollen Erwachsene Kinder vor dem Anblick eines toten Angehörigen schützen. Aber ihre Fantasie ist oft schlimmer als die Realität.» Kinder hätten ein natürlicheres Verhältnis zu Tod und Sterben, meint sie. Wichtig sei, ihnen Zeit zu geben und sie selbst entscheiden zu lassen, ob und wie sie Abschied nehmen möchten. «Wesentlich ist, dass die Trauer einen Ausdruck findet.»
Rituale und Bilder
Rituale geben Halt – ob eine brennende Kerze, ein bemalter Sarg –, aber auch die alltäglichen Gewohnheiten in einer Familie wie gemeinsame Mahlzeiten. «Solche Rituale verbinden, auch wenn ein Familienmitglied nicht mehr da ist. Es ist wie bei einem Mobile, dem plötzlich ein Teil fehlt – es hängt zunächst schief, und man muss eine neue Balance finden.» Rituale helfen bei Ankerpunkten im Kalender: dem ersten Geburtstag, dem ersten Weihnachtsfest, einem ersten ohne den geliebten Menschen.
Zeit, Netzwerk und Vertrauen
Im Unterschied zur Spitex hat Daniela Spitz als Trauerbegleiterin keinen Pflegeauftrag. Ihre Haupt-ressource ist Zeit. Sie begleitet bei einem schwierigen Arztgespräch oder bietet administrative Unterstützung. «Es geht ganz oft darum, mit der Familie herauszufinden, was die nächsten Schritte sein könnten. Viele verfügen über gute Ressourcen, die sie im Moment nicht sehen.»
Mitten im Leben
Die Arbeit geht ihr manchmal sehr nahe. «Ich muss mich selbst gut spüren, oft raus in die Natur gehen. Die Rückkehr in meine eigene Familie ist für mich eine Kraftquelle.» Manchmal müsse sie akzeptieren, dass sie eine Zeit lang traurig sei. Trotz aller Schwere sieht sie ihre Arbeit als Geschenk. «Ich kann den Schmerz nicht nehmen, aber ich kann Trittsteine setzen.» Daniela Spitz ist überzeugt: Mit Herz, Wissen und Zeit kann man Familien in der dunkelsten Stunde nicht den Sturm anhalten, aber ihnen helfen, nicht darin unterzugehen.
www.danielaspitz.ch, www.familientrauerbegleitung.ch
«Ich kann den Schmerz nicht nehmen, aber Trittsteine setzen»