News aus dem Thurgau
Florida Zimmerman

«Ich sah vorher nur schwarz-weiss. Nun war die Welt in Farbe»

von Aufgezeichnet von Stefan Degen
min
19.11.2025
Florida Zimmermann erlebte Krieg, Terror, Selbstzweifel und Angstzustände. Mit 21 Jahren versuchte sie, sich das Leben zu nehmen. Der Weg nach dem Suizidversuch zurück ins Leben war lang und schwer. Der Wendepunkt war ein Seelsorgegespräch.

«Als ich nach dem Suizidversuch aufwachte, ging es mir miserabel und ich schämte mich. Und nun wusste mein Umfeld auch noch, wie es wirklich um mich stand. Ich sass in der Klinik auf dem Bett und spürte, dass Gott bei mir war und mir nochmals eine Chance gab. Ich antwortete: ‹Gott, ich finde kein Ja zum Leben. Aber was ich geben kann, ist ein Nein zum Sterben.› Daran versuchte ich mich festzuhalten.

Die Wut des Freundes war echt. Sie hat mir gezeigt: Ich nehme mein Leben anders wahr als mein Umfeld. Denn ich hatte vor meinem Suizidversuch gedacht: In zwei bis drei Wochen vermisst mich niemand mehr.

Die meisten Menschen in meinem Umfeld waren überfordert, als sie von meinem Suizidversuch erfuhren. Eine Reaktion eines guten Freundes aber hat bei mir bleibenden Eindruck hinterlassen. Wir waren zusammen in einem Bandchor. Als ich den Chormitgliedern nach dem Klinikaufenthalt erklärte, weshalb ich weggewesen war, rannte er raus, knallte die Tür zu und schimpfte laut vor sich hin. Ich ging ihm nach, um zu fragen, was eigentlich los sei. Da schrie er mich an: ‹Was hast du dir dabei gedacht? Du hast mir nicht einmal die Chance gegeben, dich umstimmen zu können! Du wärst einfach gegangen, ohne dich zu verabschieden!› Vor dieser Reaktion habe ich grosse Achtung. Die Wut des Freundes war echt. Sie hat mir gezeigt: Ich nehme mein Leben anders wahr als mein Umfeld. Denn ich hatte vor meinem Suizidversuch gedacht: In zwei bis drei Wochen vermisst mich niemand mehr.

Nach wie vor aber waren in mir die Todessehnsucht und Selbstzweifel, Angstzustände und Verfolgungswahn, die mich schon seit Kindheit begleiteten. Ich hatte das Gefühl, alle anderen Menschen glücklich machen zu müssen. Aber mit mir selber war ich total überfordert. Ich habe dann geheiratet und führte ein rastloses Leben, war immer auf Achse. So ging meine erste Ehe in die Brüche. Sieben Jahre nach meinem Suizidversuch stand ich vor einem Scherbenhaufen. Ich war allein und merkte: Ich packe mein Leben überhaupt nicht.

Der Anblick, wie Väter freudig und liebevoll ihr Kind zum ersten Mal in die Arme nahmen, hatte mir jeweils Tränen in die Augen getrieben.

In dieser Zeit ging ich zu einer Seelsorgerin. An einer Sitzung hatte sie den Eindruck, dass Gott mir Folgendes sagen wollte: ‹Floh, ich stand an deinem Geburtsbett, an der Seite deiner Mutter. Sehnsüchtig habe ich auf deinen ersten Schrei gewartet. Ich habe mich auf dich gefreut und dich genau so gewollt, wie du bist.›

Diese Aussage hat mein Leben verändert. Denn als Pflegefachfrau war ich schon oft bei Kaiserschnitten dabei gewesen. Der Anblick, wie Väter freudig und liebevoll ihr Kind zum ersten Mal in die Arme nahmen, hatte mir jeweils Tränen in die Augen getrieben. Denn ich sah, was mir selbst gefehlt hatte: bedingungslos angenommen zu sein von einem Vater. Als ich das von der Seelsorgerin hörte, fiel es mir wie Schuppen von den Augen. Es war, als hätte ich vorher nur schwarz-weiss sehen können. Nun sah ich die Welt in Farbe.

Seither gab es immer noch viel Schwieriges in meinem Leben. Aber ich weiss, dass ich leben will, dass ich gewollt bin. Todessehnsucht verspüre ich nicht mehr. Mit meinem jetzigen Mann habe ich vor 19 Jahren das ‹Offnigs Huus› gegründet, wo wir junge Menschen in schwierigen Situationen aufnehmen. Trotz aller Schwierigkeiten lebe ich heute voller Hoffnung, Freude und Zuversicht. Ich bin überzeugt, dass jeder Mensch einzigartig und von Gott gewollt ist und geliebt ist.»

Florida Zimmermann

1975 im Libanon geboren, wuchs Florida Zimmermann ohne Vater im Bürgerkrieg auf und war oft auf sich alleine gestellt. Zeitweise stand sie einer islamistischen Miliz nahe. Mit zehn Jahren kam sie in die Schweiz in eine Pflegefamilie und konvertierte drei Jahre später zum Christentum. Nach mehreren Schicksalsschlägen beging sie mit 21 Jahren einen Suizidversuch. Heute führt Florida Zimmermann mit ihrem Mann das «Offnigs Huus», das jungen Menschen in schwierigen Situationen ein Zuhause bietet. 2022 ist ihre Biografie erschienen.

Florida Zimmermann, Andrea Specht: Die Durchbrecherin. Hänssler, 248 Seiten,
ca. Fr. 25.– / ISBN 978-3775159241

www.offnigshuus.ch

 

 

Hilfe bei Suizidgedanken

Jugendliche: Tel. 147, www.147.ch

Erwachsene: Tel. 143, www.143.ch

Unsere Empfehlungen

Astrophysiker Ben Moore: Der Weltuntergang kommt

Astrophysiker Ben Moore: Der Weltuntergang kommt

Seit Jahrhunderten wird die Angst vor dem Weltuntergang geschürt. Unzählige Prophezeiungen haben sich als falsch erwiesen. Aber keine Panik: Das Ende dauert noch. Astrophysiker Ben Moore erklärt, was die Wissenschaft heute wirklich über die Zukunft der Erde weiss.