News aus dem Thurgau
Nahostkonflikt

«Leben und leben lassen»

von Tilmann Zuber
min
01.09.2025
Faten Mukarker ist Christin und Palästinenserin. Damit lebt die Friedensaktivistin zwischen allen Fronten. Seit dem Überfall der Hamas am 7. September 2023 und dem Gaza-Krieg fehlen ihr manchmal die Worte, und sie ist ratlos.

Faten Mukarker steht etwas verloren hinter einem Tisch, auf dem Löffel, Kamele, Esel und Friedenstauben aus Olivenholz zum Verkauf liegen. Daneben ihre Bücher. Seit Jahrzehnten reist die Friedensaktivistin durch Europa, berichtet als Chronistin vom Alltag unter israelischer Besatzung und wirbt für Versöhnung und Gerechtigkeit. Doch an diesem Abend sitzen nur wenige in der Predigerkirche in Basel, kaum zwanzig, meist seniorenblond. Liegt es an der Frauenfussball-EM? Am Krieg in Gaza?

«Shalom und Salam», begrüsst Mukarker die Besucher. «Ich wünsche euch Frieden», sagt sie. «Auch wenn niemand in Palästina und Israel weiss, wie man in Frieden lebt. Seit 1948 stecken wir in einem Teufelskreis aus Hass, Rache und Vergeltung.»

«Ich stecke im Dilemma. Jesus, den ich liebe, ist jüdisch, und ich bin Araberin.»

Mukarker lebt mit ihrer Familie in Beit Jala, einem Nachbarort von Bethlehem. Früher strömten Tausende Touristen in die Geburtsstadt Jesu. Als Reiseleiterin führte sie die Christin durch die Stadt und bewirtete sie mit arabischen Spezialitäten. Doch der Krieg in Gaza hat die Touristen vertrieben. Arbeit und Geld fehlen.

Seit 100 Jahren Auswanderung

Als Christin und Palästinenserin trägt Mukarker eine doppelte Bürde. «Seit Jahrhunderten wandern Christen aus Palästina aus. Schon unter den Osmanen litten Christen Hunger und Not», erzählt sie. Ihre Grossmutter berichtete, wie sie als Kind im Pferdemist nach Getreidekörnern suchte, um zu überleben. Die Auswanderung hat die Christen in Palästina zur verschwindenden Minderheit gemacht, obwohl ihre orthodoxe Kirche eine der ältesten der Welt ist.

Als Faten zwei Monate alt war, zog ihre Familie nach Bonn. Dort wuchs sie zwischen zwei Welten auf: Zu Hause sprach man Arabisch, draussen war Deutschland. Je älter sie wurde, desto restriktiver wurden die Regeln. Ihre Mutter flocht ihr Zöpfe und mahnte: «Die Ehre eines Mädchens ist wie Glas. Zerbricht es, bleibt es zerstört.» Vor der Haustür begann eine Welt, in der Mädchen davon träumten, mit dem Rucksack die Welt zu bereisen. Für Faten war das undenkbar.

Während eines Heimaturlaubs in Bethlehem wurde sie verheiratet. Am Morgen besuchte die Familie den Gottesdienst, am Abend kam die Familie des Bräutigams. Eine Woche später fand die Hochzeit statt. «Ich hatte Glück», sagt Mukarker. Ihr Mann sei ein guter Mann, der sie reisen liess. Seit 50 Jahren sind sie verheiratet, haben zwei Söhne, zwei Töchter und elf Enkel.

Jesus ist jüdisch

Seit Jahrzehnten lebt Mukarker im Konflikt: Israelis gegen Palästinenser, Juden gegen Muslime, Auge um Auge, Zahn um Zahn. Die kleine christliche Minderheit mit ihrem pazifistischen Jesus scheint hier nicht hineinzupassen. «Ich stecke im Dilemma», sagt sie. «Jesus, den ich liebe, ist jüdisch, und ich bin Araberin.» Ihr Glaube gibt ihr Halt. «Er ist meine Identität und meine Hoffnung.» Und diese Hoffnung brauche sie zum Überleben. Für sie ist das Gebot «Liebe deine Feinde» unverhandelbar. «Wenn Jesus auf Jerusalem blicken würde, würde er sagen: ‹Kinder, was habt ihr aus meinem Glauben gemacht?›»

Dann kam der 7. Oktober 2023. Die Hamas überfiel Israel, tötete Hunderte und nahm Geiseln. «Das ist unmenschlich», sagt Mukarker. Ebenso verurteilt sie die nicht endende Reaktion Israels: die Bombardierungen der 2,3 Millionen Menschen im Gazastreifen, die ohne Wasser, Strom und Nahrung auskommen müssen. «Unsere Kinder, die sterben, sind doch Kinder», sagt sie. «Sie können nichts dafür.»

Die 69-Jährige fühlt sich von der Welt verlassen. Kein Land setze sich für die Palästinenser ein, sagt sie. Die Folgen seien fatal. «Im Gazastreifen züchten die Israelis Menschen, die gewalttätig werden, weil sie nichts zu verlieren und keine Zukunft haben.»

Für Mukarker ist die Lösung einfach: «Leben und leben lassen», sagt sie. Beide Seiten müssten in Würde leben können. Sie zitiert die Auschwitz-Überlebende Margot Friedländer: «Es gibt kein jüdisches, christliches oder islamisches Blut, sondern nur menschliches Blut.»

Doch mit dieser Einsicht scheint Mukarker allein zu stehen – die Palästinenserin und ihr jüdischer Jesus.

 

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