News aus dem Thurgau
Ukraine

Liebeslieder gegen den Krieg

von Noemi Harnickell
min
25.08.2025
Am ukrainischen Unabhängigkeitstag schlossen sich viele Schweizer Kirchgemeinden einer weltweiten Initiative für Frieden und Hoffnung in der Ukraine an. Und im Baselbiet liess ein Chor aus dem umkämpften Charkiw die reformierte Kirche Pratteln erklingen. Auch die ukrainische Botschafterin war zu Gast.

Wie feiert ein Land seine Unabhängigkeit, während seine Menschen bedroht und getötet werden? Mit Gesang und Tanz! Die Antwort lieferte der Festgottesdienst in der reformierten Kirche Pratteln mit dem ukrainischen Folkensemble Farby. Statt Klagelieder sangen die vier Frauen Liebeslieder aus ihrer Heimat.

Der Gottesdienst stand ganz im Zeichen einer internationalen Initiative: Am 24. August fanden weltweit Gottesdienste und Gebete statt, zu denen der Ukrainische Rat der Kirchen und Religionsgemeinschaften aufgerufen hatte. Eine 24-stündige Gebetskette verband Kirchen, Synagogen, Moscheen und interreligiöse Gruppen. Auch die Evangelisch-reformierte Kirche Schweiz beteiligte sich an der Aktion.

Das Pfarramt für weltweite Kirche, die Reformierte Kirchgemeinde Pratteln-Augst und die Basler Ortsgruppe des Ukrainischen Vereins Schweiz organisierten den Gottesdienst, der die Besucherinnen und Besucher tief bewegte. Die Sängerinnen reisten eigens aus Charkiw an, begleitet vom ostukrainischen Instrumentaltrio ZymBanDo.

 

Das ostukrainische Instrumentaltrio ZymBanDo. | Foto: Wegelin

Das ostukrainische Instrumentaltrio ZymBanDo. | Foto: Wegelin

 

Lieder zwischen Sirenen und Bomben

«Der 24. August steht für unsere Freiheit, unseren Kampf um Souveränität und die Hoffnung auf Frieden», sagte die ukrainische Botschafterin Iryna Venediktova in ihrem Grusswort. Ihre Worte hallten durch die steinernen Kirchenwände – und in den Herzen der Zuhörer. Viele der über 4000 Ukrainerinnen und Ukrainer, die seit Kriegsbeginn in Basel Zuflucht gefunden haben, kennen Menschen, die durch den Krieg starben.

Während ihrer Ansprache stockte Venediktova die Stimme. Unter Tränen sprach sie von Stolz und Dankbarkeit gegenüber «allen, die unter Einsatz ihres Lebens nicht nur die Freiheit unseres Landes, sondern auch den Frieden in Europa verteidigen». Die Sängerinnen von «Farby» wissen, was es bedeutet, unter Lebensgefahr zu singen. Wegen der täglichen Raketen- und Drohnenangriffe treten sie in Charkiw nur noch in U-Bahn-Stationen, Schutzräumen oder Tiefgaragen auf. In Pratteln kommen die Lieder wieder ans Licht und an die Luft.

 

Musik geht direkt ins Herz und erlaubt es, Gefühle auszudrücken.

 

Singen, um die Identität zu bewahren

Die Frauen von «Farby» wischten sich Tränen aus den Augen, strafften die Schultern und stimmten ein fröhliches Lied an. Das Publikum liess sich zum Tanzen mitreissen. Ein Moment wie verzaubert: Mit dem ersten Ton schien die Traurigkeit zu weichen.

«Musik geht direkt ins Herz», sagte Regine Kokontis, Präsidentin des Kirchenrats. «Sie gibt Rhythmus, sie bewegt und erlaubt es, Gefühle auszudrücken.» Diese Kraft der Musik erlebe sie auch bei Demenzkranken: «Sie erinnern sich kaum an Menschen, aber an das Vaterunser oder ein Kinderlied.»

 

Die ukrainische Botschafterin Iryna Venediktova (links) mit der neuen Kirchenratspräsidentin von Baselland, Regine Kokontis. | Foto: Wegelin

Die ukrainische Botschafterin Iryna Venediktova (links) mit der neuen Kirchenratspräsidentin von Baselland, Regine Kokontis. | Foto: Wegelin

 

Die Lieder von «Farby» bewahren Erinnerungen. Sie stammen aus Pysarivka, einem Dorf nahe der russischen Grenze, das unter Beschuss steht. «Dort singt niemand mehr», sagte Chorleiterin Galyna Breslavets. «Farby» hält die Lieder am Leben – als Teil des kulturellen Erbes.

«Dieses Datum ist in jedem Herzen der Ukraine»

«Die Kirche muss in diesem Konflikt Raum schaffen», betonte Regine Kokontis. «Einen Raum, in dem Menschen gehört und gesehen werden, in dem Austausch möglich ist. »

Wir haben unsere Musik mitgebracht, damit man uns hört. Damit die Menschen hier spüren, wer wir sind.

 

In der Kirche Pratteln entstand an diesem Sonntag ein besonderer Raum: Tränen, Betroffenheit und Trauer füllten ihn – obwohl der Krieg kein einziges Mal direkt erwähnt wurde. Doch da war auch Trost. Nicht nur für die Ukrainerinnen, sondern auch für die Schweizer. Die Lieder strahlten so viel Leben und Trotz aus, dass man für einen Moment an eine freie Ukraine glauben konnte.

«Dieses Datum ist in jedem Herzen der Ukraine», sagte Galyna Breslavets. «Wir haben unsere Musik mitgebracht, damit man uns hört. Damit die Menschen hier spüren, wer wir sind.»

 

Nach dem Gottesdienst reisten viele Besucherinnen und Besucher nach Basel. Dort bildeten sie eine Menschenkette als Teil einer weltweiten Initiative. In der Mitte: Botschafterin Iryna Venediktova neben Conradin Cramer, dem Regierungspräsidenten von Basel-Stadt.  | Foto: zvg

Nach dem Gottesdienst reisten viele Besucherinnen und Besucher nach Basel. Dort bildeten sie eine Menschenkette als Teil einer weltweiten Initiative. In der Mitte: Botschafterin Iryna Venediktova neben Conradin Cramer, dem Regierungspräsidenten von Basel-Stadt.  | Foto: zvg

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