News aus dem Thurgau
Interview mit Beat Schlatter

«Mut bringt einen weiter»

von Tilmann Zuber
min
12.09.2025
Vor 70 Jahren erschien das Buch «Mein Name ist Eugen» des Pfarrers Klaus Schädelin. Komiker Beat Schlatter spielte im gleichnamigen Film die Rolle des Königs der Lausbuben. Beat Schlatter darüber, warum er gerne Jesus spielen würde und was er Eltern rät. 

Beat Schlatter, im Film «Mein Name ist Eugen» spielen Sie Fritz Bühler, den König der Lausbuben. War das eine Rolle, die Ihnen auf den Leib geschneidert ist? 

Ja, das war eine absolute Paraderolle. Regisseur Michael Steiner hat mir gesagt, ich sei seine Traumbesetzung.

Waren Sie früher selbst ein Lausbub?

Der Dorfpolizist hätte mit verbundenen Augen zu uns nach Hause gefunden – so oft musste er kommen.

«Mein Name ist Eugen» wird auch nach 70 Jahren gelesen. Was macht den Reiz des Buches aus?

Die Hauptfiguren tun Dinge, die wir uns im echten Leben nicht trauen, von denen wir aber träumen. Das macht die Geschichte spannend. In anderen Filmen, an denen ich mitgewirkt habe, war es ähnlich. Nehmen wir «Katzendiebe»: Damals war ich Musiker, und unser Übungsraum kostete 150 Franken im Monat. Wir hatten keine Ahnung, wie wir das Geld auftreiben sollten. Also kamen wir auf die Idee, Katzen zu stehlen, sie im Übungsraum einzusperren und Finderlohn zu kassieren, wenn die Besitzer sie suchten. Irgendwann funktionierte das nicht mehr. In der Fiktion kann man solche Ideen weiterspinnen. So auch bei den vier Buben in «Mein Name ist Eugen». Sie brechen aus, um den König der Lausbuben, ihren Helden, zu finden.

Wir werden durch unsere Fehler interessant. Man verliebt sich in die Ecken und Kanten eines Menschen, nicht in Perfektion.

Heute wachsen Kinder mit digitalen Medien und Ritalin auf. Gibt es da noch Platz für Lausbuben?

Lausbuben wird es immer geben. Sie verhalten sich nicht wie alle anderen, sind aber auch nicht kriminell. Es ist eine Gratwanderung zwischen Normalbürger und Kleinkriminellem – eine spannende Grauzone. Auch meine Bingo-Show bewegt sich darin. Zum Beispiel, wenn man als Preis mit dem FCZ nach einem Spiel duschen darf oder darauf wettet, wie lange ein Flitzer über das Spielfeld rennt. Das ist nicht kriminell, aber frech. Solche Menschen interessieren mich, weil sie mutig sind. Mut bringt einen weiter. Wir werden durch unsere Fehler interessant. Man verliebt sich in die Ecken und Kanten eines Menschen, nicht in Perfektion. Streber bewundert man, aber lieben tut man die mit Fehlern – vielleicht, weil man die gleichen hat.

Die Veröffentlichung des Buches sorgte für Aufsehen und Ärger.

Das gibt es in der Kunst immer wieder: Was anrüchig ist oder verboten wird, wird interessant.

Ihre Karriere zeigt, dass Sie voller Ideen stecken. Was haben Ihre Eltern anders gemacht?

Vielleicht kommt das aus einer Not heraus. Jemand sagte mir mal, ich könnte keinen normalen Beruf ausüben. Wahrscheinlich stimmt das. Kreativität, besonders Humor, macht mich glücklich. Wenn ich morgens mit einem Co-Autor in einem Atelier sitze, wir uns lustige Szenen ausdenken und darüber lachen, ist das einer der schönsten Berufe. Wir werden fürs Lachen bezahlt.

Pfarrerinnen und Pfarrer gehören im weitesten Sinne zur Unterhaltungsindustrie.

Klaus Schädelin war Pfarrer. Gehen Sie manchmal in die Kirche? 

Ja, ich habe einige Pfarrer im Freundeskreis. Für «reformiert.Zürich» habe ich anderthalb Jahre lang jeden Monat einen Pfarrer oder eine Pfarrerin interviewt. Das hat mir grossen Spass gemacht, und daraus sind Freundschaften entstanden. Pfarrer Andrea Bianca fragte mich einmal, ob ich die Predigt für den Bettag übernehmen würde. Ich sagte: «Darauf warte ich schon lange.» Drei Tage vor dem Gottesdienst rief mich eine Radiomoderatorin an und fragte, ob ich das Kind ihrer Schwester im Gottesdienst taufen könnte. Ich antwortete: «Natürlich, bring das Kind einfach vorbei.» Pro forma berichtete ich Bianca davon. Er war entsetzt und übernahm die Taufe selbst. Wir sind bis heute befreundet. Später habe ich als «Hobbypfarrer» sogar Andrea Bianca und seine Frau Katharina getraut.

 

 

Was ist Ihnen im Kontakt mit der Kirche aufgegangen?

Die reformierte Kirche sollte mehr mit Sport, Kultur und Wirtschaft zusammenarbeiten. Sie besitzt Liegenschaften an den besten Lagen der Städte. Pfarrerinnen und Pfarrer gehören im weitesten Sinne zur Unterhaltungsindustrie. Der Sonntagsgottesdienst ist nicht mehr zeitgemäss, die meisten Leute haben dann frei und gehen nicht in den Gottesdienst. Die Kirche sollte attraktivere Angebote schaffen, gerade für die Zeiten, in denen die Gebäude leer stehen. In Zürich etwa bieten Badeanstalten abends Kulturveranstaltungen an – das stört den Badebetrieb nicht.

Haben Sie einen Tipp, wie die Kirche ihre Gottesdienste aufpeppen könnte?

Das Künstlerpaar Steiner-Lenzlinger hat für eine Kirche einen hängenden Garten gestaltet. Viele, die sonst nie in die Kirche gehen, kamen, um ihn zu sehen – und fanden so einen Bezug zur Kirche. Aber ehrlich: Ich habe keine Patentrezepte. Grosse Firmen beschäftigen Leute, die sich innovative Ideen ausdenken. Die Kirche sollte das auch tun. Man muss experimentieren, und nicht alles wird funktionieren. Das ist ein Prozess.

In einem Interview stellte man Ihnen die Frage, mit welcher biblischen Figur Sie sich identifizieren. Ihre Antwort lautete: «Jesus.» Warum?

In meinen Filmen und Theaterstücken spiele ich gern die Hauptfigur. Jesus ist in der Bibel die Hauptfigur, die Wunder vollbringt. Das finde ich fantastisch. Keine andere Figur hat so viele Menschen beeinflusst wie er. Das ist Wahnsinn. Als Künstler sollte man immer Grosses anstreben.

Hatte Jesus auch eine komische Seite?

Menschen, die so einnehmend sein können wie Jesus, haben meistens auch Humor. Humor ist in der Kunst Schauspiel die schwierigste Disziplin. Viele können Dramen und Krimis spielen, aber keine Komödien. Umgekehrt geht es eher. Komiker werden oft nicht ernst genommen. Jesus wurde sehr ernst genommen, nur so verbreitete sich seine Botschaft der Nächstenliebe. Aber er hatte sicher Charisma und Charme – und ich denke auch Humor.

Was bedeutet die Bibel für Sie?

Weltliteratur. Sie enthält alles: Mord, Betrug, Liebe, Hass. Es gibt kaum etwas, was man dort nicht findet.

Ist die Bibel ein Ratgeber für Sie?

Die Bibel ist wie eine Gebrauchsanweisung, die man braucht, um ein Gerät zu bedienen. Und sie ist wie ein Drehbuch, das eigentlich nur aus Buchstaben auf weissem Papier besteht. Es wird erst wertvoll und lebendig, wenn die Schauspieler den Text spielen. So ist es mit der Bibel: Erst wenn man ihre Botschaft umsetzt, wird sie lebendig.

Zurück zu «Mein Name ist Eugen». Welchen Erziehungstipp haben Sie für Eltern?

Ich habe keine Kinder, vielleicht hätte ich eines adoptieren sollen – eines, das eine Banklehre macht und Geld nach Hause bringt. Spass beiseite: Meine Eltern haben mir immer gezeigt, dass sie mich lieben – auch wenn ich Mist gebaut habe. Vieles, was ich angestellt habe, war später für etwas gut. Eltern sollten weniger auf Leistungen schauen und mehr auf das Menschliche. Und in der Schule sollte man lernen, wie man mit Menschen umgeht. 

 

Beat Schlatter

Beat Schlatter ist einer der erfolgreichsten Schweizer Kabarettisten, Schauspieler und Drehbuchautoren. Er spielte im Film «Mein Name ist Eugen» von 2005 den König der Lausbuben.

Mein Name ist Eugen, Buch von Klaus Schädelin

Klaus Schädelin (1918–1987) war reformierter Pfarrer in Bern und Autor des Kultbuchs «Mein Name ist Eugen» (1955). Die Lausbubengeschichte um den 13-jährigen Eugen und seine Freunde Wrigley, Bäschteli und Eduard wurde zunächst als «Kitsch und Schund» verrissen, entwickelte sich aber zum zweiterfolgreichsten Schweizer Kinderbuch nach Heidi. Theologe Karl Barth gehörte zu den ersten begeisterten Lesern. Über 250'000 Exemplare wurden bisher verkauft. Die Geschichte wurde 2005 als Film und 2016 als Musical nacherzählt.

Klaus Schädelin, Mein Name ist Eugen, TVZ-Verlag

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