Protestiert! – Nicht nur am Reformationssonntag …
Nicht nur das Reformieren bleibt «semper» zu tun, auch das Protestieren. Wobei mir das «pro» im Wort noch wichtig ist:
Wahre Protestanten legen sich «für» etwas ins Zeug und Zeugnis ab. Sie protestieren für etwas, das ihnen essenziell wichtig, aber bedroht ist.
Solch einen Pro-Test-Fall nennt die Theologie: «status confessionis». Das ist eine «Bekenntnissituation». Um Gott nicht zu verraten, sehen sich Christenmenschen dazu gezwungen, öffentlich – vor den Mächtigen dieser Welt – Bekenntnis abzulegen, selbst wenn sie das Leib und Leben koste.
Auch die Psychologie belegt, dass positive Formulierungen besser wirken und stärker motivieren als negative. Unser Gehirn würde ein «nicht» schlicht überhören. Darum werde ein Appell wie «Tu das!» viel besser verstanden als das Verbot: «Tu das nicht!». Lern- oder kommunikationspsychologisch ist also «für» etwas auszurufen cleverer als «gegen» etwas zu schreien.
Nun stamme ich ja aus der «Stadt der Protestation» Speyer am Rhein: 1529 legten dort einige Fürsten und freie Reichsstädte das Rechtsmittel der «Protestatio» ein, um «für» den geächteten Martin Luther und «für» die neue Lehre einzutreten. Sie begründeten das mutig vor Kaiser und versammeltem Reichstag. Unter diesen ersten «wahren Protestanten» war notabene auch die Stadt St. Gallen.
Wer sind die «wahren Protestanten» heute? Wofür stehen sie ein?
Aktuell denke ich an die Washingtoner Bischöfin Mariann Budde und ihr Buch: «Mutig sein». Vor Millionen Zuschauenden las Mariann Budde US-Präsident Trump die Leviten.
Trump fand es «keine gute Predigt». Ich schon. Auch, weil Mariann Budde protestierte und dem US-Staatsführer riet: «Üben Sie Gnade, seien Sie barmherzig!» und «Nehmen Sie den vielen Menschen die Angst, die Ihre Politik in Panik versetzt.» Das fand ich geschickt.
Budde hat Trump nicht zum Teufel gejagt oder beschimpft. Das wäre – bei Gott! – einfacher gewesen. Stattdessen hat sie pro-testiert, Zeugnis abgelegt für die Gerechtigkeit Gottes und an die biblische Ethik erinnert, etwa die Fremdenliebe (3 Mose 19,34) und die Pflicht, hilfsbedürftige Menschen gut aufzunehmen (Mt 25,35).
Am Kirchentag in Hannover erlebte ich die anglikanische Bischöfin Budde: Sie wurde gefeiert wie eine Hoffnungsfigur. Dabei zeigte sie sich selbst suchend, bescheiden, machtlos. Sie bat um unsere Gebete und Solidarität. Unser Protest ist nötiger denn je.

Die Basler Theologin und Radiojournalistin Judith Wipfler studierte Theologie an den Universitäten Heidelberg und Basel. Seit 2000 arbeitet sie in der Fachredaktion Religion von SRF und ist als Religionsexpertin in verschiedenen Formaten zu hören und zu sehen. Für ihre theologische Vermittlungsleistung und ihr Engagement im interreligiösen Dialog zeichnete sie die Universität Bern 2021 mit der Ehrendoktorwürde aus.
In Freiwilligenarbeitet engagiert sich Judith Wipfler im Schweizerischen Verein für Täufergeschichte und im Schweizer Hilfsverein «Kiriat Yearim» für benachteiligte Kinder und Jugendliche in Israel.
Foto: SRF/Bildbearbeitung Kirchenbote
Protestiert! – Nicht nur am Reformationssonntag …