Religion: Warum zeigen Junge mehr Interesse?
Seit 2014 führt das Bundesamt für Statistik (BFS) eine Erhebung zu Religion und Spiritualität in der Schweiz durch. Alle fünf Jahre werden dieselben Fragen gestellt. Der generelle Befund der im Juni erschienenen Statistik 2024 ist nicht überraschend: «Die Glaubensformen werden immer individueller, und viele Menschen fühlen sich nicht mehr einer bestimmten religiösen Gruppe zugehörig.»
Die 15- bis 24-Jährigen unterscheiden sich insbesondere in einem Punkt deutlich von den übrigen Altersgruppen: 43 Prozent von ihnen gaben an, dass sie an «einen oder mehrere Götter glauben» würden. Das sind deutlich mehr als in der folgenden Altersgruppe der 25- bis 44-Jährigen, wo der Anteil bei 35 Prozent lag. Ohne Erklärung für die Besonderheit der 15- bis 24-Jährigen stellt das BFS in seiner Zusammenfassung der Ergebnisse fest: «Während der Anteil der Personen, die an einen oder mehrere Götter glauben, in den letzten zehn Jahren in allen Altersgruppen zurückgegangen ist, hat er sich bei den 15- bis 24-Jährigen gehalten. Bei den über 65-Jährigen ist er seit 2014 von 60 auf 45 Prozent zurückgegangen.»
Mehrheit der Jungen glaubt an ein Leben nach dem Tod
Interessant ist weiter, dass die junge Bevölkerung am häufigsten an ein Leben nach dem Tod glaubt (57 Prozent). Diese Überzeugung ist bei den Personen ab 65 Jahren am geringsten (47 Prozent). Umgekehrt glauben Personen unter 25 Jahren am wenigsten daran, dass manche Menschen die Gabe des Heilens oder Hellsehen besitzen (32 Prozent). Was die geheimen Mächte betrifft, die im Hintergrund das Weltgeschehen lenken, beläuft sich die Zustimmung in allen Altersgruppen auf rund ein Viertel, wobei sie bei den Personen unter 25 Jahren signifikant höher ist (28 Prozent) als bei der darauffolgenden Altersgruppe (24 Prozent).
Die Redaktion des Kirchenboten hat eine Pfarrperson und eine Person aus der Jugendarbeit gefragt, wie sie das religiöse und spirituelle Interesse von Konfirmandinnen und Konfirmanden wahrnehmen.
Das meinen Thomas Alder und Manuela Steinemann:
Wachsendes Bedürfnis nach Orientierung
Thomas Alder, Fachstelle Jugendarbeit der Evangelischen Landeskirche des Kantons Thurgau
«Eine Studie aus den USA belegt, dass 87 Prozent aller Befragten einen Zugang zum christlichen Glauben vor dem 21. Lebensjahr gefunden hatten. Seit der Covid-Pandemie ist auch in vielen europäischen Ländern eine Hinwendung zum christlichen Glauben zu beobachten. In England spricht man von einem 'stillen Revival' unter den 15- bis 30-Jährigen.
Gerade in dieser Lebensphase stehen viele Jugendliche an einem Wendepunkt: Der Übergang ins Erwachsenenleben bringt Fragen nach Identität, Zugehörigkeit und Lebenssinn mit sich. Zudem erleben viele Jugendliche eine Welt im Wandel: Klimakrise, Kriege und digitale Überflutung erzeugen Unsicherheit. Solche existenziellen Themen beschäftigen junge Menschen intensiv – häufig stärker als später im Leben, wenn Routinen und Verpflichtungen überwiegen. In dieser Unübersichtlichkeit wächst das Bedürfnis nach Orientierung, innerer Stabilität und spiritueller Tiefe.
Der Glaube eröffnet Möglichkeiten, mit diesen Herausforderungen umzugehen. Allerdings wenden sich viele junge Menschen oft von traditionellen Kirchen ab. Sie suchen persönliche, freie Wege: Meditation, Achtsamkeit oder spirituelle Inhalte auf Social Media. Genau hier liegt die Chance für uns als Kirche: Wenn wir zuhören, spirituelle Angebote machen, die den Glauben konkret und erfahrbar machen und Raum öffnen für Gemeinschaft und Freundschaften, legen wir ein Fundament, das in allen Herausforderungen des Lebens trägt.»
Dem Vertrauen auf Gott auf der Spur
Pfarrerin Manuela Steinemann, Aadorf
«Aus meiner täglichen Arbeit kann ich bestätigen, dass Jugendliche und junge Erwachsene nach Gott fragen und auf ihn vertrauen. Darum interessiert mich, was sie damit ausdrücken, wenn sie ihr Vertrauen auf Gott setzen.
Es wird viel davon geredet, dass die Welt aktuell krisenhaft ist. Jugendliche und junge Erwachsene sind nach der Jahrtausendwende geboren, in der Zeit, in der sich Krisen gehäuft haben. Viele Gewissheiten wurden weniger stabil. Gleichzeitig scheint man davon auszugehen, dass es Sicherheiten geben muss. Die alte Frage nach dem, was unsere Welt im Innersten zusammenhält, ist damit immer noch mindestens genauso da. Die Bemühungen, Antworten darauf zu finden, ebenfalls – so interpretiere ich dieses Ergebnis.
Wenn in der täglichen Arbeit nicht immer klar ist, wo diese jungen Menschen sind, die an Gott glauben, und auch dann, wenn sie vor uns stehen, ist das Ergebnis dieser Studie für mich ein Hoffnungszeichen. Es ermutigt mich dazu, einzustehen mit dem Glauben, den ich für tragend halte in der Welt und mit der Hoffnung auf Gott. Und sie ermutigt mich, mir bewusst zu sein, wie sensibel die Frage ist und wie gross die Verantwortung dafür. Wenn Gott als Antwort gesucht wird, heisst das vermutlich auch, dass die Unsicherheit bezüglich dem, was uns sichert, gross ist. Und ich freue mich darauf, mit jungen Menschen zu entdecken, wo Sicherheit zu finden ist und was die Frage ist, auf die Gott die Antwort ist.»
Religion: Warum zeigen Junge mehr Interesse?