News aus dem Thurgau

So etwas darf nie wieder passieren

von Cornelia Brunner-Scherrer
min
26.09.2023
Ende Oktober wird in Münsterlingen das Thurgauer «Zeichen der Erinnerung» der Künstlerin Karolin Bräg, eingeweiht. Dieses hat sie in Zusammenarbeit mit den Opfern von Fremdplatzierungen, fürsorgerischen Zwangsmassnahmen und Medikamententests im Kanton Thurgau umgesetzt.

«Die Betroffenen hoffen darauf, dass man ihre Schicksale wahrnimmt, die Gesellschaft sie als wahr begreift, damit dieses grosse Unrecht nie wieder passiert,» fasst Karolin Bräg, Künstlerin, die gemeinsamen Aussagen der betroffenen Personen zusammen. Als sichtbares Zeichen wird am Samstag, 28. Oktober 2023 das Denkmal «Zeichen der Erinnerung» eingeweiht.

Das Hauptzeichen befindet sich auf dem ehemaligen Spitalfriedhof von Münsterlingen, die beiden Partnerzeichen bei der Psychiatrischen Klinik Münsterlingen und im Massnahmenzentrum Kalchrain. So soll das Netzwerk der Institutionen sichtbar gemacht werden, in dem die Opfer gefangen waren. Bis in die 80er Jahre des letzten Jahrhunderts brauchte es manchmal nur wenig, damit Fremdplatzierungen sowie fürsorgerische Zwangsmassnahmen verfügt wurden. Nicht zu vergessen die Medikamententests von den 1940er bis in die 1980er Jahre. «Oft waren davon Menschen betroffen, die einfach nicht in die damalige bürgerliche Gesellschaft hineingepasst haben», erklärt der Staatsarchivar André Salathé des Kantons Thurgau.

Erinnern und zuhören

In über fünfzig Gesprächen hat Karolin Bräg Menschen ermöglicht, ihr Interesse am «Zeichen der Erinnerung» zu formulieren und herauszuarbeiten, was heute für sie bedeutsam ist. Viele haben als Kinder und Jugendliche unendliches Leid erfahren müssen, viele Betroffene sind bereits verstorben, ohne je zu erfahren, dass man ihnen heute glaubt. Sie möchten nicht mehr Opfer sein und dies auch nicht nachweisen müssen. Diese Menschen suchen Anerkennung und Würdigung – damit ein Bewusstsein entsteht, «wie schnell eine Gesellschaft Menschen ausgrenzt, sie stigmatisiert, ohne zu hinterfragen, was dazu geführt hat.»

Dabei gehe es um Versöhnungsprozesse, aber auch um die Frage, «wie wir erinnern und wie wir heute den Begriff der Würde in der Gesellschaft leben, und wie die Vergangenheit aufgearbeitet werden kann.» Wer übernimmt die Verantwortung? Wer sind die Täter? Es bleibt eine Wunde für die Betroffenen, die erst heilt, wenn solche Fragen in der Zukunft eine Antwort finden. Als Mitmensch möge man sich vielleicht fragen, wie man am besten auf diese Menschen zugeht, damit sie nicht nochmals verletzt werden. Karolin Bräg rät aus ihrer Erfahrung, das Gespräch zu suchen. Und vor allem: Ihnen zuhören. «Die Menschen haben mich viel Neues gelehrt: Anders wahrzunehmen, achtsamer zu werden, weniger zu urteilen.» Es sei ihr bewusster geworden, dass viele Kinder und Jugendliche ohne Eltern, ohne Geschwister, ohne Zugehörigkeit im Leben aufwachsen mussten.

Würdigen und im Gespräch bleiben

Gleichzeitig zur Einweihung wird ein Buch mit Zitaten von Betroffenen herausgegeben, das dann im Informationsraum beim Kunstwerk aufliegen wird. Zudem wird die Möglichkeit geschaffen, dass Besucherinnen und Besucher ihre eigenen Gedanken zum Thema (anonym) aufschreiben und in einem Briefkasten deponieren können. Diese Gedanken werden anschliessend vom Thurgauer Staatsarchiv auf der Webseite veröffentlicht. «Mit diesem – auch zukunftsorientierten – Konzept soll die Erinnerung in der Gesellschaft im Gespräch bleiben», betont der Historiker André Salathé. Damit so etwas nie wieder passiert.

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