«Wenn Kirche und Tourismus kooperieren, profitieren beide»
Die Schweiz ist bekannt für ihre malerischen Landschaften, Älpler, Käse und kulturelle Vielfalt. Doch neben der Postkartenidylle wächst ein neuer touristischer Zweig: der spirituelle Tourismus mit Angeboten wie Pilgerreisen mit dem Velo, Führungen im Zürcher Grossmünster oder Wellnesswochenenden im Kloster. Der Grund ist: Viele sehnen sich nach Ruhe, authentischen Begegnungen und Orientierung. Auch Tourismusverbände haben das wirtschaftliche Potenzial kirchlicher Angebote längst erkannt.
Der Verein Kirchen und Tourismus Schweiz als Vorreiter
Eine Schlüsselrolle spielt der Verein «Kirchen + Tourismus Schweiz» (KTCH), gegründet 2020. Die ökumenische Initiative bringt Vertreter der katholischen und der reformierten Kirche mit Tourismusfachleuten zusammen. Sie vermittelt kirchlichen Kreisen touristisches Know-how und vertritt christliche Werte im Tourismus. Michael Landwehr, evangelischer Pfarrer und Präsident des Vereins, gilt als «Mister Tourismus der Schweizer Kirchen».
Landwehr hat zahlreiche Projekte angestossen: von einem kirchlichen Rahmenprogramm bei der Fussball-Euro 2008 Schweiz-Österreich oder einer interaktiven Lichtinstallation bei der Ski-WM 2017 in St. Moritz bis zu «Schöpfungsferien» in Partnerhotels. «Wenn Kirche und Tourismus kooperieren, profitieren beide», sagt Landwehr. «Die Kirche lernt etwa, wie man wirbt, der Tourismus gewinnt durch authentisches Storytelling.» Begegnungen wie die mit einem Bergwirt, der von den Älplermagronen seiner Grossmutter erzählt, schaffen Nähe und Authentizität.
Es geht um eine unaufdringliche Vermittlung spiritueller Werte.
Der Verein unterstützt konkrete Projekte. So werden sich die Kirchen an der «Grand Tour of Switzerland» beteiligen. Landwehr schlägt vor, dass Kirchgemeinden entlang der Route beispielsweise eine «Chilebüx» anbieten – ein Paket mit regionalen Spezialitäten wie Kräutertee für die Seele oder Kneippbäder für Körper und Geist. «Es geht um eine unaufdringliche Vermittlung spiritueller Werte», erklärt er. Der Verein berät Gemeinden bei der Umsetzung von Gastfreundschaft, Besinnung und Entschleunigung.
Touristen sind offen für spirituelle Erlebnisse
Die Nachfrage nach spirituellen Angeboten wächst. Während die Kirchen mit sinkenden Besucherzahlen kämpfen, steigt das Interesse an kirchlichen Angeboten in den Ferien. Der Besuch der historischen Kirchen, sinnstiftendes Reisen und spiritueller Tourismus liegen im Trend.
«Touristen sind in den Ferien besonders offen für spirituelle Erlebnisse», sagt Landwehr. Ein Beispiel ist die Seelsorge im Zürcher Grossmünster, wo täglich Unzählige ein und aus gehen. «Der ehemalige Pfarrer Christoph Sigrist hat es verstanden, den Besuchern zuzuhören und ihnen einen Reisesegen mitzugeben.
In einer beschleunigten Welt suchen Menschen nach Sinn und Verbundenheit
Manchmal lassen sich kirchliche Botschaften besser «verpackt» vermitteln. Landwehr nennt das Backstage Hotel by Heinz Julen in Zermatt als Beispiel: Dort erleben Gäste ein Wellnessprogramm, inspiriert von der biblischen Schöpfungsgeschichte. Sieben Wellness-Cubes symbolisieren die Schöpfungstage und fördern das Wohlbefinden. «Hier verschmelzen spirituelle Inhalte mit touristischen Erlebnissen. Das christliche Abendland wird erfahrbar», sagt Landwehr.
Potenzial wird immer noch unterschätzt
Im Juni fand in der Paulus-Akademie Zürich die Tagung «Touristifizierung der Religion oder Spiritualisierung des Tourismus?» statt. Veranstaltet von der Theologischen Hochschule Chur, bot sie Vorträge, Workshops und Raum für neue Ideen. Landwehr beschreibt die Tagung wie eine Art «Schnellladung einer Autobatterie», die Impulse für Projekte und Reflexion lieferte.
Professor Harald Pechlaner von der Universität Eichstätt-Ingolstadt sieht Spiritualität als Antwort auf Overtourism. «Kirchen bieten Entschleunigung, Tiefe und Sinn statt Masse und Beliebigkeit», erklärt er. Seine These: «Spiritualität ist ein Gegenmodell zum Pauschaltourismus. Sie bringt Reflexion und Authentizität.»
Trotz positiver Entwicklungen sieht Landwehr Nachholbedarf. Viele Kirchenvertreter unterschätzten das touristische Potenzial. Während Kantone wie Graubünden oder das Wallis gut vernetzt seien, fehle diese Verbindung in anderen Regionen. Doch der «Megatrend Spiritualität» biete Chancen. «In einer beschleunigten Welt suchen Menschen nach Sinn und Verbundenheit», sagt Landwehr. Er ist überzeugt: «Spiritualität und Kirche sind im Tourismus angekommen. Die Kirchen sollten ihr Licht nicht unter den Scheffel stellen.
Mehr Informationen: www.ktch.ch
«Wenn Kirche und Tourismus kooperieren, profitieren beide»