News aus dem Thurgau

Als noch Kirchen gebaut wurden

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24.01.2020
In den letzten 150 Jahren wurden im Thurgau nach der Gründung der Landeskirchen 60 Kirchen gebaut. Drei Zeitzeugen erinnern sich an den Bau und die Einweihung ihrer Kirche Mitte des 20. Jahrhunderts.

Viele Thurgauer Kirchen wurden paritätisch, das heisst von Evangelischen und Katholiken genutzt. Der Wirtschaftsaufschwung und die Bevölkerungszunahme nach der Hälfte des 19. Jahrhunderts ermöglichten es, dass separate Kirchen gebaut werden konnten. So entstanden seit 1869, als die Landeskirchen die Beziehung zwischen Staat und Kirche neu regelten, 60 neue Kirchen. Die Denkmalpflege im Thurgau hat Ende November 2019 zum Kirchenjubiläum das neue Werk «Kirchenbau 1869 – 2019» veröffentlicht, in dem die damals entstandenen Kirchen porträtiert werden. Neue Kirchen werden heute im Thurgau keine mehr gebaut, der aktuellste Bau stammt aus dem Jahr 2004 in Wilen bei Wil. Wie war das damals, als Kirchen gebaut und eingeweiht, Glocken aufwändig transportiert und von Schulkindern aufgezogen wurden?

Glockenwache gehalten
Dem 72-jährigen Hans Ewald aus Bischofszell kommt beim Thema Kirchenbau zuerst der Spatenstich im März 1967 in den Sinn. «Es hat den ganzen Tag in Strömen geregnet», sagt Ewald und zeigt dazu eine Sequenz aus einem Film, den er aus alten Super 8 Filmen digital aufbereitet hat. Schön anzusehen waren die prächtig herausgeputzten Hürlimann-Traktoren, die die Glocken der Glockengiesserei Rüetschi AG in Aarau vom Bahnhof her transportierten. Ewald war damals in der Jugendgruppe vom Blaukreuz. Ihm und einer Handvoll Kollegen wurde die besondere Ehre zuteil, für die Glocken vor dem Aufzug am 2. September 1968 Wache zu halten. «Wir hatten eine kurzweilige, lustige Nacht und waren stolz auf unseren Einsatz», sagt Ewald. An den Glockenaufzug durch die Schulkinder sowie die Redner und Darbietungen der Stadtmusik erinnert er sich nur vage, da er von der durchwachten Nacht müde war. Bei der feierlichen Einweihung Ende November fehlte die Orgel, was laut Ewald für Diskussionsstoff sorgte.

Hoher Anspruch am Bau
Wenige Jahre zuvor wurde in Oberaach bei Amriswil eine neue Kirche gebaut. Federführend war das damalige Mitglied der Kirchenvorsteherschaft Hans Albert Keller, Vater des heute 74-jährigen Hans Keller. Er erinnert sich gut daran, dass sein Vater während der Bauphase 1962 bis 1964 sehr pingelig war. «Alles musste richtig gemacht werden», sagt Keller dazu, der zu jener Zeit als junger Mann beruflich in den USA weilte und mit seiner zukünftigen Frau nach Oberaach zurückkehrte. «Wir waren das zweite Paar, das in der neuen Kirche getraut wurde», so Keller. Dass der Blick auf die und von der Kirche unverbaut ist, ist ebenfalls Kellers Vater zuzuschreiben, der sich für einen Landkauf südlich der Kirche einsetzte. Der hohe Anspruch des Vaters zeigte sich auch daran, dass er das erste mächtige Betonkreuz für die Ostwand wegen einer zu rauen Oberfläche bemängelte und nochmals anfertigen liess.

Als «Lüüti-Bueb» tätig
Noch älter, mit Baujahr 1959, ist die Kirche in Aadorf, für die das ehemalige Pfarrhaus abgebrochen wurde. Dort besuchte der 82-jährige Ur-Aadorfer Walter Ammann noch den Konfirmationsunterricht. Als Bub ging er in die damals paritätische, heute katholische Kirche, wo er während der Schulzeit eine ganz besondere Aufgabe hatte: Er war «Lüüti-Bueb», also einer, der während den Schulferien und zu Silvester die Glocken läutete. Diese Tätigkeit ging jedoch mit der neuen Kirche verloren. An die Kircheinweihung erinnert er sich als ein grosses Ereignis.

Buch «Kirchenbau 1869-2019», 150 Jahre Landeskirchen im Kanton Thurgau, Herausgeber: Amt für Denkmalpflege im Kanton Thurgau. Basel, 2020.


(Claudia Koch, 24. Januar 2020)

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