News aus dem Thurgau
Glockengeschichten

Ein Sammler von 150 Glocken

von Andy Schindler-Walch
min
16.03.2023
Glocken hängen im Thurgau nicht nur in Kirchtürmen. Glocken kann man auch sammeln, was Heinz Auer aus Bichelsee fast sein Leben lang getan hat.

«Es ist mir vermutlich in die Wiege gelegt worden, dass ich Freude an Glocken habe. Wenn man mit mir im Kinderwagen spazieren ging, habe ich immer ‹Bimbam› gesagt, wenn eine Kirchenglocke ertönte», erzählt der 60-jährige Heinz Auer, ein leidenschaftlicher Glockensammler, am Esstisch in seinem Wohnhaus in Bichelsee.

Die erste Glocke
«Die erste Glocke ist aus meiner Schulzeit», erinnert er sich. «Beim Nachbarhaus hatten sie eine Glocke, an der man ziehen konnte. Als die Buben aus der Nachbarschaft damit spielten, fiel sie einem zu Boden und ging kaputt, weil sie einen Riss bekam. Ich habe sie immer noch behalten als Erinnerung.» Auer absolvierte eine Lehre als Konditor und Confiseur. Als er diese beendet hatte, entdeckte er, dass man auf Flohmärkten kleinere Glocken kaufen konnte. «Ich kannte das in Bichelsee nicht. Am Samstag musste ich immer arbeiten, so konnte ich nur in den Ferien auf Flohmärkten stöbern und danach suchen», erklärt er. Als das Zeitalter des Internets anbrach, fand seine Suche nicht mehr auf Flohmärkten, sondern am Computerbildschirm statt. So kaufte er Glocken über Onlineplattformen.

150 Glocken im Besitz
Auer kaufte aber nur bestimmte Glocken, die seinen Vorstellungen entsprachen. Was war für ihn beim Kauf einer Glocke wichtig? «Die Glocke musste funktionstüchtig sein und der Ton sollte einen erfrischenden Klang haben.» Manchmal hatten Glocken auch eine besondere Geschichte, bis sie zu ihm gelangten. So erwarb er eine Schulhausglocke von einem Lehrer, der diese zufällig in einer Abfallmulde entdeckt hatte. Bei Aufräum- und Renovationsarbeiten in einem Schulhaus war diese Glocke von Handwerkern in die Abfallmulde geworfen worden, weil niemand sie haben wollte. Wie viele Glocken hat Auer im Lauf der Zeit gesammelt? Er überlegt einen Moment und sagt dann, dass mindestens 150 Glocken in seinem Besitz sind. Allein draussen im Gartenhaus, das mit dem Kirchtürmchen aussieht wie eine kleine Kapelle, hängen an der Decke 23 verschiedene kleinere Glocken aus der Schweiz, Deutschland und Österreich. Es sind Glocken aus Kirchen und Fabriken sowie Souvenirglocken der Glockengiesserei Rüetschi aus Aarau, die für spezielle Anlässe angefertigt wurden. Heinz Auer sammelt heute keine Glocken mehr und hat seine Sammlung schon reduziert, da er nicht mehr Platz habe, wie er erzählt. Doch er räumt ein, dass gelegentliche Käufe für ihn nicht ausgeschlossen seien. «Aber es ist nicht mehr so, dass ich jeden Tag im Internet nachschaue. Vielleicht einmal alle zwei Monate», sagt er. Neben dem Sammeln von Glocken besichtigt er auch gerne Kirchen und dazu die Kirchtürme, wo dies möglich ist.

Glocken sind ein Kulturgut
Haben Glocken für ihn auch einen Bezug zum christlichen Glauben? «Ja, auf jeden Fall», bestätigt er. «Ich war früher katholisch, und wir mussten immer in die Kirche. Die Kirche und das Geläut trenne ich nicht voneinander. » Wie denkt er über die Zukunft von Glocken? «Darauf habe ich eine klare Antwort: Das Glockengeläut wird weiter bestehen, ausser, man lässt sich von Glockenfeinden einschüchtern, die sagen, man dürfe zu gewissen Zeiten nicht mehr läuten.» Auer ist der Ansicht, dass die Kirchgemeinden nicht nachgeben sollen. Man könne Kompromisse mit Menschen finden, die sich am Geläut stören, zum Beispiel durch Schallschutzvorrichtungen bei den Glocken oder Einschränkungen beim Glockenschlag. Er gibt zu bedenken, dass meistens die Kirche und ihre Glocken schon vor denjenigen da waren, die deswegen reklamieren würden. «Die Glocken und das Geläut sind ein Kulturgut und gehören zur Kirche.»

Eigenes Glockengeläut
Seit ein paar Jahren ist Heinz Auer nun Mesmer der evangelischen Kirchgemeinde Bichelsee-Balterswil und stellvertretender Mesmer der evangelischen Kirchgemeinde Aadorf-Aawangen. Wenn jeweils am Freitag und am Samstag die katholische Kirche in Bichelsee ihre Glocken ertönen lässt, dann erklingt gleichzeitig auch eine Kirchenglocke von Heinz Auer vor seiner Haustüre. Von all seinen Glocken mag er diese Glocke besonders. Aufgehängt in einem hölzernen original Glockengestühl und elektrifiziert betrieben, verbreitet sie seit zehn Jahren in der Nachbarschaft ihren lauten und schönen Klang. «Es ist eine Bachert-Glocke, die für ihre guten Töne bekannt sind», so Auer. Diese Kirchenglocke mit dem Bibelvers aus Joh. 14,19b als Inschrift stammt aus dem Jahr 1955. Sie hat einen Durchmesser von 64 cm und ist zwischen 80 und 90 Kilogramm schwer. Es ist die grösste und schwerste Glocke, die Heinz Auer in seiner Sammlung hat. Sie stammt aus dem deutschen Grenzstädtchen Weil am Rhein. Ob sie zur evangelischen oder katholischen Kirche gehörte, weiss Auer nicht. Wie ist er zu dieser besonderen Kirchenglocke gekommen? «Ich musste diese nicht einmal suchen. Jemand rief mich an, der einen Trödelladen hatte und wusste, dass ich Glocken sammle. Die Glocke stand in seinem Laden und hatte einen schönen Ton, was für mich neben dem Aussehen wichtig ist», erzählt er. Wieviel er genau dafür bezahlt hat, verrät er nicht.

Aber um diese Glocke kaufen zu können, verkaufte er einem anderen Sammler eine Glocke aus seinem Besitz. Ist es ihm nicht schwergefallen, dafür eine eigene Glocke zu verkaufen? «Nein, mir war es wichtig, dass ich diese Glocke kaufen konnte », betont er. Stolz ist Auer auch auf das Gestühl, an dem die Glocke hängt. «Es stammt von einer Privatperson. Eigentlich wollte ich dort nur eine Glocke kaufen, konnte dann aber auch das Glockengestühl erwerben. Es ist ideal für diese Glocke und den Motor, der sie antreibt.» Stören sich die Nachbarn daran, wenn er jede Woche seine Glocke läuten lässt? «Nein, hier ist es weitläufig, und die Leute kennen mich ja seit vielen Jahren», versichert er, der selbst in Bichelsee aufgewachsen ist. Aber er lässt seine Glocke nur zusammen mit den Glocken im Kirchturm läuten und nicht allein, damit es zu keinen Fragen oder Reklamationen aus der Bevölkerung kommt. Da die Glocke programmiert ist, läutet sie auch, wenn er nicht zu Hause ist. Und er hält fest: «Solange ich lebe, wird diese Glocke läuten.»

 

 

 

Weitere Videos zum Thema Glocken finden Sie unter https://www.youtube.com/@GloecknerBi/videos

 

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