News aus dem Thurgau

Mehr aufeinander zugehen

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23.09.2022
«Schön und köstlich ist es zu lobsingen und zu danken.» Mit grosser Freude nach monatelanger Vorbereitungszeit eröffnete Alt-Kirchenratspräsident und Pfarrer Wilfried Bührer den Gottesdienst am Thurgauer Kirchensonntag. Das liessen sich die beiden Projektchöre mit 100 starken Stimmen nicht zweimal sagen und animierten zum Mitsingen und -feiern.

Starker Auftakt zu einem speziellen Gottesdienst mit aussergewöhnlicher Kombination von Gesang und Musik: Am Kirchensonntag begleitete eine Band mit Schlagzeug und Piano zusammen mit der Musikgesellschaft Affeltrangen zwei Projektchöre.

«Grösstes Opfer» – ein Sozialdiakon
Der Gottesdienst stand nicht nur unter dem Motto «Gemeinsam feiern», sondern auch ganz im Zeichen biblischer, historischer und zeitgenössischer Aktualitäten – vom Schauspieler Eric Wehrlin gekonnt inszeniert, einerseits als Zöllner an der fiktiven schweizerisch- polnischen Grenze, andererseits als biblischer Zöllner Zachäus. Passend zur Zollthematik forderte Moderator Samuel Kienast die Vertretungen aus den Kirchgemeinden auf, Päckli auf die Bühne – am Zollhaus-Bühnenbild vorbei – zu bringen. Wehrlin nutzte die Chance, verhalf einzelnen Kirchensonntags-Gästen unverhofft zum Bühnenauftritt und den Besucherinnen und Besuchern zum einen oder anderen Lacher. «Grösstes Opfer» des Schweizer Zöllners mit kommunistisch-gestreng angehauchter Uniform wurde der Frauenfelder Sozialdiakon Philipp Uebersax: Er wurde sogleich einem «Schweizer Test» unterzogen – mit zweifelhaften Aufgaben wie etwa der Frage nach der Königin der Schweiz (richtige Antwort: «Beatrice Egli»).

Sketch für alle – Sonderteil für Jugend
Mit seinem zweiten Sketch führte Eric Wehrlin als Zöllner Zachäus – bekleidet im Stil der Antike – thematisch noch näher an das Gottesdienstthema heran. Kurzweilig erzählte er die biblische Geschichte und mimte Zöllner Zachäus, wie er vom Baum herunterstieg und zu Jesus eilte. Lebendig schilderte er etwa, wie sich die damaligen Juden aufregten, dass Jesus den Gauner und verrufenen Zöllner Zachäus schon fast nötigte, dass er bei ihm zu Gast sein darf. Damit war die Zeit gekommen, die Kinder und Jugendlichen in ihre altersgerechten Begleitgottesdienste zu entlassen, wonach der ortsansässige Pfarrer Emanuel Memminger mit Psalmworten zum Predigtinterview überleitete.

Wissen, wo das Herz brennt
Samuel Kienast als «Predigtmoderator» befragte die seit kurzem neue Kirchenratspräsidentin Christina Aus der Au und den bisherigen langjährigen Kirchenratspräsidenten und Kirchensonntags-OK-Präsidenten Wilfried Bührer: «Ich möchte wissen, wofür Euer Herz brennt.» Er machte deutlich, dass es ihm darum ging zu hören, «was die Geschichte des Zachäus der Thurgauer Kirchengemeinschaft heute noch zu sagen hat». Von Bührer wollte er wissen, wie er wohl reagiert hätte, wenn er von Zöllnern harsch aufgehalten worden wäre. Er habe noch die mulmige Erinnerung an einstige Grenzübertritte in frühere sozialistische Staaten im Osten Europas: «Ich habe Respekt vor solchen Situationen. Da wird es mir wieder bewusst, dass wir in einem wunderbaren Land und einem Rechtsstaat leben dürfen. Es käme mir wohl die Galle hoch, aber ich würde mich nicht auf ein Handgemenge einlassen.»

Was «hässig macht»
Deshalb fragte Kienast Aus der Au, was sie «hässig macht»: «Solche Situationen, in denen jemand Macht ausnutzt, um andere zu schikanieren, machen mich schon extrem hässig.» Es gehe nicht an, «hintenrum» Vorteile herauszuholen. Dann drehte Kienast den Spiess um und wollte von Aus der Au wissen, was ihr wohl durch den Kopf geschossen wäre, «wenn Du Jesus gesehen hättest, als er den Zöllner heruntergeholt hat». Aus der Au: «Ich wäre nochmals hässig geworden.» Kienast: «Was wäre denn gewesen, wenn Du als ‹Zachäus auf dem Baum gewesen wärst?» «Ich glaube, ich wäre vom Baum heruntergefallen.»

Kienast mutmasste, was wohl im Haus des Zachäus danach alles passiert sei und forderte Bührer heraus: «Selbst wenn wir es im Detail wüssten, könnten wir es nicht kopieren. Wir müssen uns nur vorstellen, Jesus hätte gesagt, ‹komm mal runter – ich muss mit dir ein ernstes Wörtchen reden›. Jesus hingegen wählte einen intimen Rahmen – er suchte sich fast ein Beichtgespräch aus.» Bührer gab zu bedenken, dass es von dieser biblischen Geschichte verschiedene Auslegungen gebe. Sicher sei: Aufgrund der persönlichen Ansprache sei bei Zachäus erst eine Veränderung möglich geworden. So gelte es auch heute noch zu überlegen, «woher das Böse und das Schikanieren kommt». Allerdings legten die Begebenheit und Zachäus’ Wende zum Guten nahe, dass «Gott sehr stark im Spiel ist». Damit werde «Veränderung dort möglich, wo man es nie erwarten würde». Die Konsequenz, so Bührer: «Nie einen Menschen abschreiben, als sei er quasi sei ein hoffnungsloser Fall.»

Aus der Au betonte: «Wir sollten öfter zusammen essen und trinken. Deshalb hat Jesus sich bei Zachäus ja auch eingeladen. Vielleicht sollten wir das auch viel häufiger so machen: ‹Ich will zu dir kommen, mit Dir zusammensitzen und ich will hören, wer Du bist. Wir sollten mehr aufeinander zugehen.» Die beiden Schlussfolgerungen stimmten Kienast zuversichtlich und motiviert: «Vielleicht würden dann noch viel mehr Menschen zu unserer Kirchengemeinschaft stossen, als wir es uns überhaupt ausdenken könnten.»

Friedenslied gesungen
Mit Gebeten für Glaubensstärkung, gelingende Gemeinschaft, Aufbrüche in den Gemeinden und für verfolgte Christen wurde die Interviewpredigt abgerundet, bevor Wilfried Bührer die Segensworte sprach. Mit einem eindrücklichen Schlusslied wünschten die Anwesenden Frieden – füreinander und für die ganze Welt.

 

(Roman Salzmann)

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