News aus dem Thurgau

Wachet und betet

von Lars Heynen
min
15.03.2024
Die meisten älteren und viele jüngere Kirchgebäude sind nach Osten ausgerichtet. Der Westen, woher die Kirchenbesucher kommen, wenn sie eine Kirche betreten, steht für den Alltag, die Mühlsal, Leiden, Tod und Gottesferne. Sie treten ein Richtung Osten, der aufgehenden Sonne entgegen.

Eine Kirche betreten ist kein gewöhnlicher Ortswechsel. Wenngleich die Reformierten den Gotteshäusern keine besondere sakrale oder heilige Bedeutung mehr zumessen wollen, hebt sich ein Kirchenraum in der Regel doch ab von einer Turnhalle oder dem heimischen Wohnzimmer. Der Theologe Peter Beier sagte einmal: «Die Wahrheit braucht keine Dome. Das liebe Evangelium kriecht in jeder Hütte unter und hält sie warm.» Das ist wahr. Wahr ist aber auch, dass eine Kirche etwas ausstrahlt von dem, was dort geschieht: Da wird der Beginn des Lebens unter den wunderbaren Segen der Taufe gestellt, Gnade wird zugesprochen, das Glück und die Liebe des Lebens werden gefeiert, Niederlagen werden geklagt und Gebete angesichts des Todes gesprochen.

Ein einzelner Mensch kann einen Kirchenraum nicht füllen, aber kann die Erfahrung machen, selbst erfüllt zu werden. Weil der Kirchenraum mit seiner Atmosphäre und Geschichte etwas weitergibt von dem, was dort von so vielen Menschen gehofft und gebetet wurde.

Wunderbarer Moment
Das spürt auch Ruth Roth: Sie organisiert die Treffen des Gemeindegebetskreises in Romanshorn. Im Gebetskreis, der im Kirchgemeindehaus abgehalten wird, werden zuerst Psalmen gesungen, zum Schluss Vertrauenslieder. Für das Gebet im Kreis gibt es als Hilfestellung Karten mit Gebetsanliegen. Es sei immer ein wunderbarer Moment, wenn es irgendwann langsam still wird, alles abgelegt ist. Dann bete man miteinander das «Unser Vater».

 

Per Klick die Kirche Romanshorn in 360 Grad erkunden.
Per Klick die Kirche Romanshorn in 360 Grad erkunden.


Die Tür zu Gott ist offen
Wenn Ruth Roth die Romanshorner Kirche betritt, dann geht es ihr anders als vielen, die die Kirche besuchen. Sie schaut nicht in erster Linie auf das Bild im Chorraum – eine Illustration von Jesus während der Bergpredigt –, sondern auf das angedeutete Tor darüber, das mit goldverzierten Bögen dreidimensional abgesetzt ist. Der Chorraum der Romanshorner Kirche ist nicht nach Osten ausgerichtet, aber das Licht fällt von dort auf den grossen Bogen und lässt ihn strahlen. «Das Tor ist offen durch Jesus Christus», sagt Ruth Roth und erinnert an die Karfreitagsgeschichte, in der der Vorhang zum Allerheiligsten des Tempels zerreisst. Der Zugang zu Gott ist frei. Der Himmel ist offen. Das ist die Grundlage für ihre Aussage: «Das gemeinsame Beten sehe ich als ganz grosse Hoffnung im Glauben, als Auftrag auch.»

Ein weiter Horizont
Umgeben von dicken Kirchenmauern stellt sich bei Ruth Roth noch ein anderes Gefühl ein. Zunächst das Gefühl von Schutz und Geborgenheit, das einem «nach Hause kommen » ähnelt. Dann noch etwas anderes: Der weite Raum mit seiner gewaltigen Kubatur ermögliche ihr «eine grössere Sicht, auf andere Menschen, auf die Sorgen und Nöte derer neben mir», sagt sie. Das unterscheidet das Beten in der Kirche vom privaten Gebet zu Hause. Im Kirchenraum schwingt die Geschichte von Generationen mit, die dort ihre Kirchenträume gelebt haben. In Gebeten wurden hier Hoffnungen ausgebreitet, Klagen und Bitten geäussert, Dank und Lob gesungen und gesprochen. In der Kirche liegt ein Buch auf, in das man eigene Gebetsanliegen hineinschreiben kann. Die Kirche ist ein Ort des Gebets, wo der Traum vom gewendeten Leid, von der wunderbaren Hilfe oder eben von der Ergebenheit in das, was nicht geändert werden kann, seinen Raum hat.

Beten kann man lernen
Martin Luther sagte einmal: «Wie ein Schuster einen Schuh machet und ein Schneider einen Rock, also soll ein Christ beten. Eines Christen Handwerk ist Beten.» Ruth Roth kennt die Sorge von Menschen, «falsch» zu beten, und fragt sich, ob es das überhaupt gibt: ein falsches Gebet. Wohl wäre es oft dergestalt: Vielleicht bleibt man im Floskelhaften, aber das wäre immer noch besser als zu verstummen. Wenn Beten ein Handwerk ist, kann man es üben und lernen.

 

Gebet


Lotta Ramsauer aus Romanshorn gewann mit ihrer Zeichnung den Malwettbewerb.

Jesus hat seine Jünger auf seinen nahenden Tod vorbereitet. Im Garten Gethsemane betet er, Gott möge den «bitteren Kelch» an ihm vorübergehen lassen, fügt jedoch hinzu: «nicht das, was ich will, soll geschehen – sondern das, was du willst.» (Matthäus 26,39)

Jesus ist also nicht willenlos, ordnet sich aber seinem Vater im Himmel unter und kann den Kelch annehmen, obschon das Gebet scheinbar ohne Resonanz bleibt.

Er bittet seine Jünger, mit ihm zu wachen und zu beten. Wenngleich sie scheitern und einschlafen, gilt denen, die sich zu Jesus bekennen, der Aufruf, treu (für andere) zu beten und mutig Gott zu vertrauen, der am Ende alles zum Guten wendet. Kleinmut und Kleinglaube lassen verstummen. Das Gebet eröffnet einen Horizont, ohne den nur der graue Alltag bliebe.

Das zeigen auch die vielen Kinderzeichnungen, die zum Thema Gebet eingereicht wurden: Lotta Ramsauer aus Romanshorn gewann mit ihrer Zeichnung das Voting der Redaktionskommission und damit einen Eintritt ins Conny-Land in Lipperswil.

 

 

Gebet: Alle Kinderzeichnungen entdecken

 

 

Unsere Empfehlungen

Wenn Taufstein und Lebensstein erzählen könnten

Wenn Taufstein und Lebensstein erzählen könnten

Warum möchten Eltern ihre Kinder taufen lassen? Aus Tradition und weil damit eine schöne Familienfeier verbunden ist? Zur Bestätigung des Kindsnamens? Aus Dankbarkeit und weil ihnen der christliche Glaube wichtig ist? Wir nehmen in der Kirchgemeinde Wängi einen Augenschein.
Geliebt und gesegnet

Geliebt und gesegnet

Nach vierzig Ehejahren sagen Rita und Heinz Künzler nochmals Ja zueinander: vor Gott und der Gemeinde. Mit der symbolträchtigen kirchlichen Feier in der Hochzeitskapelle Degenau setzen sie ein Zeichen ihres Glaubens und ihrer Verbundenheit und danken Gott für all die segensreichen Jahre, die sie mit ...
Auf den Spuren von Wiborada

Auf den Spuren von Wiborada

Vor über 1100 Jahren hatte sich die heilige Wiborada in St. Gallen in eine Zelle einschliessen lassen. So konnte sie sich ganz dem Gebet widmen. Cathrin Legler hat diese Lebensweise eine Woche lang nachempfunden - als Inklusin (wörtlich: Eingeschlossene). Lesen Sie nachstehend zuerst den Bericht, ...