News aus dem Thurgau

Gaza-Krieg: Wie damit umgehen?

von Ernst Ritzi
min
12.02.2024
Wer über den Terror, den Krieg und die Gewalt in Palästina und Israel berichtet, begibt sich auf ein Minenfeld. Wie gehen kirchennahe Medien damit um?

Am 7. Oktober 2023 hat die im Gazastreifen regierende Hamas mit ihrem brutalen und menschenverachtenden Terroranschlag einen Krieg ausgelöst. Zwei Millionen Menschen in Gaza, aber auch Menschen in Israel und in den angrenzenden Ländern sind davon betroffen. Der Staat Israel hat mit einem Krieg auf den Terroranschlag reagiert, mit dem die Hamas vernichtet werden soll. Für die in Gaza lebende Zivilbevölkerung bringt der Krieg unermessliches Leid mit sich.

Ausblendung von Tatsachen und pauschale Vorwürfe
Terror, Krieg und Gewalt haben die Meinungen in den Medien und in der Weltöffentlichkeit polarisiert. In den Darstellungen des Konflikts werden – je nach Standpunkt – Tatsachen ausgeblendet. Beobachter, die auf der Seite der Palästinenser stehen, verschweigen oft, dass die im Gazastreifen regierende Hamas den aktuellen Krieg und die Gewalt mit einem brutalen Überfall auf israelische Zivilisten und einer breit angelegten Geiselnahme ausgelöst hat. Auf der anderen Seite sehen sich Beobachter, die das Vorgehen der israelischen Armee in Gaza kritisieren und in der israelischen Siedungspolitik in der palästinensischen Westbank einen Nährboden für den palästinensischen Terrorismus sehen, mit dem Vorwurf konfrontiert, sie seien «antisemitisch» und «judenfeindlich».

Handreichung zum Umgang mit der Weltgebetstag-Liturgie
Ins Minenfeld der polarisierten Meinungen ist auch der Weltgebetstag vom 1. März 2024 geraten. Lange vor dem Gaza-Krieg war bestimmt worden, dass der Liturgievorschlag für das Jahr 2024 von palästinensischen Christinnen kommen sollte. Die Evangelisch-reformierte Kirche Schweiz EKS sah sich veranlasst, eine Handreichung zum Umgang mit der Liturgie der palästinensischen Frauen herauszugeben, weil sie befürchtete, dass «einige Passagen» der Liturgie «vor dem Hintergrund der aktuellen Lage im Nahen Osten zu Spannungen führen» könnten. Die Redaktion des Kirchenboten hat zwei Journalisten mit Nähe zur Kirche gefragt, wie sie mit dem «Meinungs-Minenfeld» Terror, Krieg und Gewalt in Palästina und Israel umgehen.

 

Das meinen Felix Reich und Delf Bucher:

 

«Und» statt «Aber»

Felix Reich, Redaktionsleiter der Zeitung «reformiert.»

«Der Ausweg aus der Polarisierung ist das Gebet. Ich bete für die Menschen, die ihre Angehörigen beim schrecklichen Massaker der Hamas am 7. Oktober verloren haben, für die Geiseln, die verschleppt wurden, für Menschen, die in Israel in Angst vor neuen Angriffen leben müssen. Ich bete für die Menschen, die in Gaza unter prekären Bedingungen leben, deren Häuser zerbombt wurden und die medizinisch kaum versorgt werden können, für die Menschen, die ohne politische Perspektive unter dem Regime der Hamas leben und nun kaum Schutz finden vor den israelischen Luftschlägen.

Am Weltgebetstag will ich den Palästinenserinnen zuhören. Ich möchte Menschen aus Israel zuhören. Ich höre auf die Jüdinnen und Juden in der Schweiz, die unsäglichen antisemitischen Anfeindungen ausgesetzt sind. Ich höre Musliminnen und Muslimen zu, die müde geworden sind, sich von radikalen Spinnern distanzieren zu müssen.

Ich übe mich in Ambiguitätstoleranz und halte widersprüchliche Perspektiven aus. Und ich halte an der durch meinen Glauben genährten Hoffnung fest, dass Frieden möglich ist, wenn Menschen Empathie zeigen und zwischen ihre Sätze ein ‹Und› statt ein ‹Aber› setzen.

Die Haltung des Gebets sollte auch den Journalismus prägen. Dann gelingt ein Journalismus, der schonungslos aufzeigt, wie komplex und dramatisch die Situation ist, und der dennoch nicht spaltet, weil er auf Versöhnung ausgerichtet bleibt.»

Abrahams Fragen – immer aktuell

Delf Bucher, Historiker, Journalist im Ruhestand, Buochs/NW

«Abraham hatte den Mut, Gottes Plan, die Städte Sodom und Gomorra zu zerstören, entgegenzutreten: ‹Willst du wirklich den Gerechten zusammen mit dem Frevler wegraffen?› (Gen 18,23) Wenn nur zehn Gerechte unter den vielen Frevlern seien, dürfte ein solches Zerstörungswerk nicht in Gang gesetzt werden. Mit seiner Fürsprache avanciert Abraham zu einem Pionier des Völkerrechts. So, wie er Gott fragte, soll auch heute die Frage gestattet sein: Finden sich unter den mittlerweile fast 30'000 Toten in Gaza nicht Gerechte oder unschuldige Kinder?

Aber der Stammvater des Judentums, Christentums und Islam redet auch von den Frevlern. Modern übersetzt, sind dies jene Menschen, die ihr Gegenüber nicht als Gottes Ebenbild, ausgestattet mit Würde, ansehen. Menschen, die in ihrem Vernichtungswillen Kinder vor den Augen ihrer Eltern töten, die vergewaltigen und kidnappen – Menschen wie die Hamas-Terroristen.

Können wir hier ernstlich Jesus folgen und die Israelis auffordern, die linke Wange hinzuhalten? Hat Israel nicht das legitime Recht, sich vor dieser Mördersekte zu schützen? Wo aber liegen die Grenzen, damit nicht Gerechte Opfer dieses Krieges werden könnten?

Viele Fragen, auf die nur schwer schlüssige Antworten zu finden sind. Fragen, denen wir uns stellen sollten, um als Christinnen und Christen gerade bei dem bevorstehenden Weltgebetstag im Zeichen Palästinas solidarisch mit den abrahamitischen Brüdern und Schwestern, den jüdischen und islamischen, zu sein.»

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