Medizin für unser Gesundheitswesen?
Die Initiative der SP will die Kosten für die Krankenkassenprämien auf höchstens zehn Prozent des Bruttoeinkommens beschränken. Muss jemand mehr als zehn Prozent seines verfügbaren Einkommens für die obligatorische Grundversicherung der Krankenkasse aufwenden, so sollen in Zukunft der Bund und die Kantone die restliche Krankenkassenprämie übernehmen. Damit würde für Menschen mit bescheidenem Einkommen schon heute bestehende Krankenkassenprämienverbilligung stark ausgebaut. Wird die Prämienentlastungs-Initiative der SP angenommen, rechnen der Bundesrat und die Gegnerinnen und Gegner der Initiative mit jährlichen Mehrkosten für Bund und Kantone von 3.5 bis 5 Milliarden Franken.
Die zweite Abstimmungsvorlage, die mit dem Gesundheitswesen zu tun hat, ist die Kostenbremse-Initiative der Mitte-Partei. Sie will das Wachstum der Gesundheitskosten in der Schweiz vom Wirtschaftswachstum und von der Lohnentwicklung abhängig machen. Die Gegnerinnen und Gegner der Initiative befürchten, dass durch die Begrenzung der Gesundheitskosten eine Kontingentierung der Leistungen und eine Zwei-Klassen-Medizin entstehen könnte.
Der Bundesrat und die Mehrheit der Eidgenössischen Räte lehnen sowohl die Krankenkassenprämieninitiative der SP als auch die Kostenbegrenzungsinitiative der Mitte ab. Als Alternative schlagen sie vor, dass die Prämienverbilligung, die bereits heute Menschen in bescheidenen wirtschaftlichen Verhältnissen zugutekommt, ausgebaut wird, und dass andere Massnahmen zur Begrenzung der Kosten im Gesundheitswesen getroffen werden.
Die Redaktion des Kirchenboten hat die Thurgauer Nationalrätin Nina Schläfli (SP), und den Thurgauer Mitte-Nationalrat Christian Lohr eingeladen, die Argumente darzulegen, die für die von ihren Parteien lancierten Initiativen sprechen.
Das meinen Nina Schläfli (SP) und
Christian Lohr (Die Mitte):
Nina Schläfli, Nationalrätin SP, Kreuzlingen
Christian Lohr, Nationalrat Die Mitte, Kreuzlingen
Es geht nicht nur
um die Prämien
Die SP hat die Prämienentlastungs-Initiative lanciert, weil die Krankenkassenprämien Jahr für Jahr markant steigen und zu einer immer grösseren Belastung für viele Haushalte werden. Die Initiative fordert nun eine Deckelung der Krankenkassenprämien auf zehn Prozent des verfügbaren Einkommens sowie einen neuen Finanzierungsschlüssel der Prämienverbilligung.
Die Initiative hat eine sozialpolitische Stossrichtung, verfolgt untergeordnet aber auch gesundheitspolitische Ziele. Drei davon möchte ich kurz ausführen:
Erstens erhöht ein Ja zur Initiative den Druck auf Bund und Kantone, endlich kostensenkende Massnahmen im Gesundheitsbereich einzuleiten. Die starken Lobbys und das «Gärtchendenken» vieler Kantone verhindern derzeit leider immer wieder griffige Lösungen.
Zweitens verzichten rund 20 Prozent der Bevölkerung auf eine medizinische Behandlung, weil sie sich den hohen Selbstbehalt nicht leisten können. Das kann schwere gesundheitliche Konsequenzen für diese Menschen haben, aber es führt auch zu höheren Kosten für die ganze Gesellschaft.
Drittens landen im Thurgau Erwachsene, die ihre Prämien nicht bezahlen können, auf einer Schwarzen Liste und werden nur im Notfall medizinisch behandelt. Eine höhere Prämienverbilligung hätte in diesen Fällen auch eine präventive Wirkung. Bezahlbare Prämien für Familien, Pensionierte und Personen mit einem mittleren Einkommen verhindern unnötige Komplikationen, führen zu besseren medizinischen Behandlungen und so auch zu tieferen Gesundheitskosten.
Nina Schläfli, Nationalrätin SP, Kreuzlingen
Gesundheitskosten
im breiten Fokus
Ist es legitim, gerade auch aus ethischer Sicht über die Kosten im Gesundheitswesen zu reden?
Selbstverständlich sollen, ja müssen wir dies tun. Die verschiedentlich veröffentlichten Sorgenbarometer machen deutlich, dass die Angst vor einer weiteren Kostenentwicklung und steigenden Krankenkassenprämien die Bevölkerung stark antreibt. Es wird von der Politik erwartet, dass sie ihren Handlungsspielraum endlich wahrnimmt.
Die Kostenbremse-Initiative verlangt das Einschreiten des Bundes in Zusammenarbeit mit den Kantonen und Gesundheitsakteuren, falls die Gesundheitskosten mehr als 20 Prozent stärker wie die Löhne steigen, also eine nachvollziehbare Messgrösse. Um es aber deutlich zu sagen: Die Initiative will kein Globalbudget, schon gar keine Zweiklassen-Medizin. Gezielt gefördert werden soll die Suche nach innovativen Lösungen, um die Situation möglichst nachhaltig zu verbessern. Es kann etwas getan werden, aber man muss den Willen dazu haben.
Das Problem mit den vielen Falschanreizen im heutigen System gilt es konkret an der Wurzel anzupacken, um das ungebremste Prämienwachstum zu stoppen.
Es ist dabei klar, dass mit der Kostenbremse-Initiative alle Beteiligten (Ärzte, Krankenkassen, Versicherungen, Apotheken, Pharmaunternehmen, auch Patientinnen wie Patienten und viele weitere mehr) in der Mitverantwortung für die Kostenentwicklung stehen. Einfach wegzuschauen und so zu tun, als ob man sich um diese Sache nicht zu kümmern brauche – diese Gleichgültigkeit darf nicht mehr einfach so weitergehen.
Christian Lohr, Nationalrat Die Mitte, Kreuzlingen
Medizin für unser Gesundheitswesen?