Pionierinnen der Krankenpflege
Simple dunkle Kleidung, eine weisse Haube auf dem Haar: Die Rede ist natürlich von den Diakonissen. Jede und jeder von uns ist den Frauen schon einmal über den Weg gelaufen. Mit ihrer Führung «Starke Frauengemeinschaft» will die Historikerin und Kulturvermittlerin Salome Bender der Diakonissengemeinschaft ein Gesicht geben. Der Rundgang durch das Diakonissenhaus Riehen vermittelt den Besuchenden einen Einblick in die Geschichte der Frauengemeinschaft und zeigt: Unter den Hauben stecken wahre Pionierinnen.
Wirken, wo es sonst keiner tut
Das Diakonissenhaus Riehen BS wurde 1852 von dem Pietisten Christian Friedrich Spittler gegründet. Spittler antwortete damit auf die Not der Bevölkerung. Im Zuge der Industrialisierung erlebte Basel ein grosses Bevölkerungswachstum. Gekoppelt mit schlechten Hygienebedingungen und dem Ausbruch von Epidemien, stieg in der dicht besiedelten Stadt die Zahl der Kranken. Spittler verfolgte das Ziel, die Krankenpflege als Institution in der Stadt aufzubauen.
Wer dem evangelischen Orden in der Anfangszeit beitreten wollte, musste bereit sein, sich vollständig aufzuopfern, und über eine gute körperliche Verfassung verfügen, um dem Krankenpflegedienst überhaupt nachgehen zu können. Die Schwestern wurden durch einen hauseigenen Arzt zu Krankenpflegerinnen ausgebildet und assistierten auch bei Operationen. Die Oberschwester indes managte den ganzen Rest, organisierte Hausandachten und hatte die wirtschaftliche Leitung inne.
Die Diakonissen wirkten, wo es sonst keiner tat. Im Jahr 1900 gründeten die Schwestern die Sonnenhalde, ein Pflegeheim für psychisch kranke Frauen. Es war das erste Haus in Riehen, das über eine Stromversorgung verfügte. Und weil viele Eltern mehr als zwölf Stunden am Tag in den Fabriken arbeiteten und sich nicht um die Kinder kümmern konnten, wirkten die Diakonissen in der Kleinkinderpflegeanstalt Kleinbasel mit – möglicherweise die erste Krippe der Deutschschweiz! Wurde ein Kind zu Hause misshandelt, so behielten die Schwestern es zurück und kümmerten sich darum, geeignete Pflegefamilien zu finden.
Verbundenheit über grosse Distanz
Von Basel zogen die Diakonissen aus in die ganze Welt. In Ghana etwa führten sie eine Geburtsstation, und in Neapel leiteten sie das «Home», ein Haus, das Frauen jedweden Hintergrunds willkommen hiess. «Da wurde aktiv eine lebendige Gemeinschaft geprägt», sagt Salome Bender. «Die Frauen assen zusammen, wuschen gemeinsam Wäsche – und auf der Dachterrasse hielten sie Hühner.»
Die Hausleiterin, Schwester Bertha Stettler, verliess das «Home» auch während der Wirren des Zweiten Weltkriegs nicht. Es war die Zeit, in der sie die Verbundenheit mit dem Mutterhaus am eindrücklichsten spürte. In ihrem Tagebuch hielt sie fest: «Wir wussten, dass jeden Mittag um ein Uhr die Schwestern für uns beteten. Einmal sassen wir während eines Bombardements im Luftschutzkeller, und es war furchtbar. Plötzlich dachte ich: ‹Jetzt ist es genau ein Uhr. Jetzt beten sie im Mutterhaus für uns.› Das gab mir sehr viel Kraft.» Die Schwestern hatten oft über Monate keinen Kontakt zum Mutterhaus in Riehen. Aber dieses Beispiel zeigt die Beziehung der Frauen zum Mutterhaus.
«Unser Haus, ein ausgestreckter Arm»
Zur Zeit ihres Höhepunkts während des Zweiten Weltkriegs gehörten fast 600 Frauen der Diakonissengemeinschaft an. Heute sind es noch 50. Damit haben sich auch die Tätigkeitsfelder verändert. «Uns ist es ein Anliegen, unsere Räume zu öffnen», sagt Schwester Karin Müller. «Wir können nicht mehr nach draussen gehen wie früher, drum laden wir die Menschen zu uns ein. Unser Haus soll ein ausgestreckter Arm sein.» War es einst das zweite Krankenhaus der Diakonissen, ist es heute ein Gästehaus mit Café und Wohnräumen.
Eigentlich hatte Schwester Karin als junge Frau von einer eigenen Familie geträumt. Aber dann lernte sie mit Mitte zwanzig eine Diakonisse kennen und war begeistert. «Diese Frau war nicht, wie ich mir eine Schwester vorgestellt hatte, sondern lebendig und frech und kreativ.» Konnte sich die junge Karin Müller ein Leben in einer Schwesterngemeinschaft vorstellen? «Mir ist der Glaube wichtig und das Leben in Gemeinschaft», erklärt sie pragmatisch. «Und dieser Lebensentwurf der Schwestern entspricht in allem dem, was ich so in mir trage.»
Quo vadis?
Die Diakonissen schaffen seit jeher Räume für Frauen, Minderheiten, Kinder und Bedürftige. Aber wie wird es mit ihnen weitergehen? Viele Schwestern sind bereits hochbetagt, jüngere kommen kaum noch nach. Schwester Delia Klingler, die Kommunikationsverantwortliche des Hauses, ist jedoch optimistisch: «Es kommt nicht auf die Zahlen oder das Durchschnittsalter an. Wichtig ist, dass wir ein geistlich lebendiger Ort bleiben.» Am Ende sei es schlicht eine Vertrauensfrage: «Vertraue ich Gott?» Schwester Delia Klingler nickt: «Ich vertraue Gott, dass sein Weg ein guter wird.»
Pionierinnen der Krankenpflege